Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
3 Territorialautonomie am Werk<br />
Medien und anderen Politikfeldern.<br />
Kataloniens 1931 geschaffene erste Autonomie gehört<br />
mit jener der Ålandinseln und des Baskenlandes zu<br />
den ersten Formen moderner Territorialautonomie<br />
der Geschichte. Das Experiment fand mit dem<br />
vom faschistischen Franco-Regime entfesselten<br />
Bürgerkrieg 1936-39 sein tragisches Ende. 1939<br />
wurde das Autonomiestatut Kataloniens von Franco<br />
auch als Strafakt abgeschafft, weil die Mehrheit der<br />
Katalanen sich seiner Machtergreifung widersetzt<br />
hatten. Während des Franco-Regimes wurde die<br />
katalanische Sprache und Selbstverwaltungsrechte<br />
weitestgehend unterdrückt. Erst nach Spanien<br />
Rückkehr zur Demokratie 1978 erhielt Katalonien ein<br />
neues Autonomiestatut, das von der Wählerschaft<br />
in einer Volksabstimmung 1979 gutgeheißen und in<br />
der spanischen Verfassung verankert wurde. 25 Jahre<br />
später wurde dieses Statut gründlich überarbeitet, um<br />
den politischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen<br />
Rechnung zu tragen und den Umfang der katalanischen<br />
Autonomie zu erweitern. Mängel im ersten Statut,<br />
zunehmende zentralistische Tendenzen und sich<br />
wiederholende Konflikte über Finanzfragen führten zu<br />
einer „Generalüberholung“ der Autonomie. 151<br />
Während Kataloniens größte Partei, die moderat<br />
nationalistische Kraft Convergencia i Unió, 20 Jahre<br />
in Barcelona allein regiert hatte, erreichten 2003<br />
drei andere Parteien die Mehrheit im katalanischen<br />
Regionalparlament. Diese legten auf die Reform des<br />
Autonomiestatuts höchste Priorität, um legislative<br />
Kompetenzen zu erweitern, das Finanzsystem zu<br />
verbessern und die Rechte und Pflichten der Bürger<br />
von Katalonien insbesondere in sprachlicher Hinsicht<br />
besser zu definieren.<br />
Nach zweijähriger Debatte verabschiedete das<br />
Parlament in Barcelona das 3. Autonomiestatut,<br />
das am 18. Juni 2006 von der Bevölkerung in einer<br />
Volksabstimmung bestätigt wurde und am 9.8.2006 in<br />
Kraft trat. 152 Bei einer Beteiligung von 48,8% stimmten<br />
73,2% da<strong>für</strong>. 1979 hatten sich noch 59,7% der<br />
Wähler Kataloniens an der Volksabstimmung beteiligt,<br />
wovon 88,1% <strong>für</strong> das neue Statut gestimmt hatten.<br />
Anschließend wurde das Autonomiestatut auch vom<br />
spanischen Parlament abgesegnet, jedoch von der<br />
konservativen Partei PP vor dem Verfassungsgericht<br />
angefochten.<br />
151 Vgl. Xabier Arzoz, The Autonomy of Catalonia, in: Thomas<br />
Benedikter (ed.), 2009, Solving Ethnic Conflict through Self-Government,<br />
EURAC, Bozen, 24-28<br />
152 Der Text des neuen Statuts Kataloniens auf : http://www.gencat.cat/generalitat/eng/estatut/index.htm<br />
In der Präambel des neuen Autonomiestatuts<br />
von 2006 wird Katalonien als Nation bezeichnet,<br />
während in der spanischen Verfassung nur den Rang<br />
einer „Nationalität“ zuerkannt bekommen hat. Der<br />
verfassungsmäßige Status bleibt jedoch jener einer<br />
Autonomen Gemeinschaft. 120 Abgeordnete von<br />
insgesamt 135 Mitgliedern des Regionalparlaments –<br />
mit Ausnahme jener des Partido Popular – hatten diese<br />
Bezeichnung begrüßt. Aus der Sicht der spanischen<br />
Regierung hat diese Präambel nur deklaratorischen<br />
Wert, nicht jedoch Rechtscharakter, zumal die<br />
spanische Verfassung die unauflösliche Einheit der<br />
spanischen Nation festschriebt.<br />
Auf der anderen Seite hegen katalanische Linksparteien<br />
wie die ERC und CUP starke Vorbehalte gegenüber<br />
dem neuen Statut mit der Begründung, dass es<br />
Katalonien nicht genügend Rechte auf Selbstregierung<br />
verschaffe. In diesen Mängeln sehen diese Parteien<br />
auch den Hauptgrund <strong>für</strong> die geringe Wahlbeteiligung<br />
der katalanischen Wähler.<br />
Aufgrund der historischen, sprachlichen und<br />
kulturellen Unterschiede zum übrigen Spanien<br />
bezeichnen viele Einwohner Katalonien als eine<br />
eigene Nation. Der Begriff Nation wird dabei im Sinne<br />
einer Kulturnation verstanden und nicht über eine<br />
ethnische Zugehörigkeit definiert. Die Frage nach<br />
der Selbstbezeichnung als „Nation“ stand auch im<br />
Mittelpunkt der Verhandlungen um das neue 2006<br />
verabschiedete Autonomiestatut. Das katalanische<br />
Parlament hatte mit großer Mehrheit (88,9%) gegen die<br />
Stimmen des Partido Popular (11,1%) eine Resolution<br />
beschlossen, die Katalonien als „Nation“ bezeichnet.<br />
Als dies jedoch im gesamtspanischen Parlament auf<br />
Widerspruch stieß, einigte man sich schließlich auf<br />
eine Kompromissformel in der Präambel. Demnach<br />
wird einerseits festgehalten, dass „das Parlament<br />
Kataloniens das Gefühl und den Willen der Bürger<br />
Kataloniens aufgenommen hat, indem es mit großer<br />
Mehrheit Katalonien als Nation definiert hat“,<br />
andererseits darauf verwiesen, dass „die spanische<br />
Verfassung […] die nationale Wirklichkeit Kataloniens<br />
als Nationalität anerkennt“. Damit wird der Tatsache<br />
Rechnung getragen, dass die spanische Verfassung<br />
von 1978 innerhalb der „unauflöslichen“ spanischen<br />
Nation nur „Nationalitäten“, nicht aber eigenständige<br />
Nationen kennt. 153<br />
Laut einer Studie aus dem Jahr 2008 be<strong>für</strong>worten<br />
35% der Bevölkerung Kataloniens eine staatliche<br />
Unabhängigkeit Kataloniens, 45% sind dagegen,<br />
153 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Katalonien<br />
89