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Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

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die Konfliktlösung durch Territorialautonomie ebenfalls<br />

enorm wichtigen Vorteil: es würden seitens Drittstaaten<br />

bzw. der internationalen Staatengemeinschaft <strong>für</strong><br />

beide Konfliktparteien, die Staaten und die regionale<br />

oder ethnische Gemeinschaft, Garantien geschaffen.<br />

Die Minderheit würde auf eine weiter reichende Option<br />

von (externer) Selbstbestimmung verzichten, wenn<br />

Autonomie tatsächlich völkerrechtlich verankert und<br />

von Drittstaaten garantiert würde. Der Zentralstaat<br />

könnte sich davor sicher fühlen, mit weiteren Sezessionsforderungen<br />

konfrontiert zu werden, solange Autonomie<br />

gewahrt wird. Erfolgreiche Mediation und langfristige<br />

Nachhaltigkeit von Autonomie-arrangements hängt<br />

entscheidend von der internationalen Verankerung<br />

und Überwachung ab. Ein Rechtssystem, das auch<br />

Recht auf Autonomie einschließt und die Pflicht, sie<br />

bei festgelegten Voraussetzungen zu gewähren,<br />

ist der Schlüssel zur friedlichen Beilegung von<br />

zahlreichen Minderheitenkonflikten in verschiedensten<br />

Weltregionen. Es geht buchstäblich um ein „joint<br />

venture“ zur gemeinschaftlichen Lösung von<br />

ethnischen Konflikten, das kein Drahtseilakt mehr sein<br />

muss, sondern ein gesicherter Steig zur Partnerschaft.<br />

Internationale Unterstützung <strong>für</strong> die Staaten und <strong>für</strong><br />

die Minderheiten würden nur dann gewährleistet sein<br />

können, wenn diese auch internationale Konventionen<br />

und Institutionen voll mittragen, genauso wie die<br />

innerstaatlichen Autonomievereinbarungen.<br />

Heute gibt es keine Verpflichtung <strong>für</strong> Staaten,<br />

Autonomie in Anwendung von zwingendem <strong>Völker</strong>recht<br />

zu gewähren. Doch scheint eine solche Pflicht und das<br />

entsprechende kollektive Gruppenrecht ein Gebot<br />

der Zeit zu sein. Der Vorschlag der FUEV von 1994<br />

vermittelt die Vorstellung der konkreten Ausgestaltung<br />

einer solchen Konvention, die mehr Aufmerksamkeit<br />

verdient hätte. Jens Woelk schließt, dass<br />

„ein Recht auf Autonomie in der Tat eine Alternative<br />

zu Sezessionsbewegungen schaffen würde, die mit<br />

gewaltsamen Mitteln Unabhängigkeit erreichen wollen,<br />

was oft ein unrealistisches Mittel ist (...). Da oft die<br />

Option der Autonomie von Staaten gar nicht in Betracht<br />

gezogen wird, tendieren nationale Minderheiten zur<br />

Radikalisierung, und Unabhängigkeit wird zur einzigen<br />

akzeptablen Lösung erklärt. Auf diese Weise wird<br />

aber die Chance vertan, flexible Lösungen innerhalb<br />

bestehenden Staatsgrenzen zu finden. Die Idee der<br />

Autonomie als ein Evolutionsprozess könnte den<br />

Aufbau von Frontstellungen mit Maximalforderungen<br />

verhindern und eine stufenweise Integration<br />

herbeiführen unter Bewahrung der Identität einer<br />

Minderheit“. 404<br />

404 Jens Woelk (2001), Minderheitenschutz durch territoriale<br />

Autonomie: “Reservate” oder nachhaltige Integrationsprozesse?,<br />

6 Ausblick<br />

Autonomie als eine Form territorialer Selbstregierung<br />

ist unauflöslich verknüpft mit den Grundwerten der<br />

Demokratie. Die Reife einer Demokratie wird oft an<br />

ihrem Umgang mit Minderheiten gemessen. Das reine<br />

Mehrheitsprinzip würde Minderheiten permanent an<br />

den Rand drängen. Dies wiegt noch schwerer, wenn<br />

es nicht nur um politische Minderheitenpositionen und<br />

Weltanschauungen geht, sondern um die Realität der<br />

Zugehörigkeit zu einer ethnisch, sprachlich, religiös von<br />

der Mehrheitsbevölkerung verschiedenen Minderheit.<br />

Diese Gruppen können nie über ihre vitalen Interessen<br />

auf ihrem eigenen Gebiet selbst bestimmen, wenn<br />

nur den Vertretern der Mehrheitsbevölkerung die<br />

Entscheidung überlassen wird. Doch kann Demokratie<br />

nur funktionieren, wenn es eine echte Verbindung<br />

zwischen dem Parlament, der Regierung und den<br />

Menschen gibt, wenn die Regierten tatsächlich<br />

durch ihre Regenten vertreten werden. 405 Im Fall von<br />

nationalen Minderheiten oder Minderheitenvölkern<br />

in einem Zentralstaat wird ein solches Verhältnis<br />

zwischen Regierten und Regierenden ohne<br />

Korrektiv immer fehlen. Vertikale Gewaltenteilung<br />

und Machtteilung korrigiert diesen Mangel einer<br />

repräsentativen Demokratie in großen Flächenstaaten:<br />

„Die verschiedenen Formen von Autonomie sind, in<br />

der Tat, Mechanismen, die <strong>für</strong> die organisatorische und<br />

institutionelle Entsprechung zwischen den Regierten<br />

und Regierenden sorgen, indem sie Selbstregierung<br />

ermöglichen jener Menschen, die zu diesen besonderen<br />

Gruppen gehören.“ 406<br />

In diesem Sinne ist Demokratie beides: sowohl eine<br />

Bedingung als auch Ergebnis echter Autonomie.<br />

Ohne demokratisches System im ganzen Staat sowie<br />

Rechtsstaatlichkeit kann Autonomie keine Aufteilung<br />

der Macht zwischen den vom Volk gewählten Organen<br />

sein, sondern nicht mehr als eine Machtteilung<br />

zwischen anders konstituierten Machteliten auf beiden<br />

Ebenen. Auf der anderen Seite wird ohne Autonomie<br />

Demokratie auf regionaler Ebene ganz einfach<br />

nicht vollzogen, da die zentralen Machtzentren alle<br />

Entscheidungen treffen und regionale Bedürfnisse<br />

und Interessen übergehen. In Autonomie-systemen<br />

Tübingen, S. 124<br />

405 „Bezogen auf das Zusammenspiel zwischen Autonomie und<br />

Demokratie sind die Fragen, die zum Begriff der ‚internen Selbstbestimmung’<br />

gehören: sind Regierungen repräsentativ genug, um<br />

Autonomievereinbarungen oder deren Verbesserungen fordern zu<br />

können? Die Antwort könnte sein, dass Autonomie in sich als ein<br />

Weg dienen kann, eine tatsächliche Osmose zwischen den Regierten<br />

und den Regierenden herzustellen, sodass letztere die oft mystische,<br />

organische oder physische Identität der Regierten verkörpern.“ Zelim<br />

Skurbaty, 2005, S. 566<br />

406 Markku Suksi (1998) S. 358<br />

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