Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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2 Das Konzept der politischen Autonomie<br />
der Übertragung von Machtbefugnissen vom<br />
Zentralstaat an drei seiner historischen Regionen<br />
bezeichnet: Nordirland, Schottland und Wales. Im<br />
Zuge der Devolution sind diese zu Regionen mit<br />
Territorialautonomie geworden.<br />
Manchmal wird in Rechtstexten und in politischem<br />
Zusammenhang auch der Begriff „Selbstregierung“<br />
(self-government) anstatt Autonomie verwendet.<br />
Seine Bedeutung ist auch von den Vereinten Nationen<br />
im Kontext des Kap. XI der VN-Charta 28 bezüglich der<br />
„Deklaration über die Gebiete ohne eigene Regierung“<br />
diskutiert worden. Laut Art 73 der VN-Charta sind jene<br />
Staaten, die Territorien verwalten, deren Bevölkerung<br />
noch keine umfassendere Form der Selbstregierung<br />
erreicht haben, verpflichtet, Formen der Selbstregierung<br />
zu entwickeln und dem Generalsekretär der VN<br />
regelmäßig statistisches und anderes Informationsmaterial<br />
über die wirtschaftlichen, sozialen und<br />
bildungsmäßigen Bedingungen zu übermitteln. Die<br />
Generalversammlung der VN hat eine Liste von<br />
Faktoren erstellt, die als Leitlinie zur Klärung der Frage<br />
dienen, ob ein Gebiet den Status der Selbstregierung<br />
erreicht hat.<br />
verwendet als höchste Form der Machtausstattung<br />
einer substaatlichen Einheit, die keine formelle<br />
Unabhängigkeit genießt. 30 Als Beispiele da<strong>für</strong> könnte<br />
Grönlands heutige Autonomie oder die historische<br />
Autonomie von Jammu und Kaschmir von 1947 bis<br />
1953 gemäß Art. 370 der Indischen Unionsverfassung<br />
dienen. Diese Bestimmung beließ dem Bundesstaat<br />
Indien in Jammu und Kaschmir keine anderen<br />
Zuständigkeiten als die Verteidigung, die Außenpolitik<br />
und das Kommunikationswesen.<br />
Ein modernes Verständnis von Autonomie kann auch auf<br />
der Grundlage der rechtlichen Unterscheidung zwischen<br />
innerem und äußerem Selbstbestimmungsrecht<br />
erarbeitet werden. Interne Selbstbestimmung kann<br />
mit der Gewährung von Autonomie erfüllt werden.<br />
Doch verleiht territoriale Autonomie, im Unterschied<br />
zur freien Assoziation, einer regionalen Gemeinschaft<br />
nicht das Recht auf einen Volksentscheid bezüglich<br />
Sezession und voller Staatlichkeit. Einige der heutigen<br />
<strong>Autonomiesysteme</strong> mit Übergangscharakter umfassen<br />
auch das Recht auf externe Selbstbestimmung und<br />
zwar in Form einer Volksabstimmung, die nach einer<br />
festgelegten Übergangszeit stattzufinden hat.<br />
Ruth Lapidoth schlägt als Definitions-kriterium in<br />
Anlehnung an die klassischen drei Elemente eines<br />
Staats (Territorium, Bevölkerung, Kontrolle bzw.<br />
Machtausübung durch einen Staat) folgende Kriterien<br />
vor: 29<br />
1. Territoriale Regierung: Freiheit von Kontrolle und<br />
Einmischung durch die Regierung eines anderen<br />
Staats in die inneren Angelegenheiten einer<br />
staatlichen Einheit in Exekutive, Legislative und<br />
Judikative;<br />
2. Partizipation der Bevölkerung: demokratisch<br />
gewählte Vertreter der gesamten Bevölkerung der<br />
betroffenen Bevölkerung werden mit politischen<br />
Machtbefugnissen ausgestattet.<br />
3. Wirtschaftliche und soziale Zuständigkeit:<br />
volle Autonomie in der Regelung regionaler<br />
wirtschaftlicher und sozialer Fragen, nicht jedoch<br />
in außenpolitischen Fragen.<br />
Letzterer Punkt müsste naturgemäß erweitert werden<br />
auf „innere Angelegenheiten“ im Allgemeinen und<br />
muss vor allem kulturelle Befugnisse umfassen, die<br />
oft den Kern der Möglichkeiten der Bewahrung von<br />
Identität bilden. „Selbstregierung“ wird von Lapidoth<br />
als synonym <strong>für</strong> eine vollständige politische Autonomie<br />
28 Ruth Lapidoth, Elements of stable autonomy solutions, CAP Papers,<br />
München 2001, S.18<br />
29 Ruth Lapidoth (2001), S.18<br />
Dezentralisierung ist ein allgemeiner Begriff <strong>für</strong> die<br />
Übertragung von beschränkten Befugnissen vom<br />
Zentrum an die Peripherie, wobei die Kontrolle und<br />
politische Verantwortung jedoch größtenteils beim<br />
Zentrum verbleibt. Dezentralisierte Befugnisse<br />
können definitionsgemäß zu jeder Zeit durch einen<br />
Regierungs- oder Parlamentsbeschluss einseitig<br />
widerrufen werden. Autonomie hingegen kann i.d.R.<br />
nur mit dem Einverständnis der betroffenen autonomen<br />
Region geändert oder gar abgeschafft werden. Es gibt<br />
verschiedene Stufen der Dezentralisierung je nach<br />
Zweck der Machtübertragung, der Beteiligung lokal<br />
gewählter Vertreter und des Grads zentralstaatlicher<br />
Überwachung. Dezentralisierung ist eine Form, die<br />
Verwaltung näher an den „Endverbraucher“ zu bringen,<br />
ohne jedoch der betroffenen Bevölkerung einer Region<br />
die entscheidende Macht zu übertragen.<br />
Das klassische Beispiel <strong>für</strong> Dezentralisierung<br />
ist Frankreich, dessen Regionen zwar über eine<br />
gewählte Regional-versammlung verfügen, doch<br />
keine Regionalverfassung oder Regionalstatut<br />
haben, sondern nur Verwaltungsbefugnisse. Das<br />
Hauptunterscheidungsmerkmal besteht in der<br />
Art der Kontrolle durch den Staat: während die<br />
Regierung sich grundsätzlich in die Rechtsakte<br />
der autonomen Organe nicht einmischen darf<br />
30 Ruth Lapidoth (2001), S.19<br />
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