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Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

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weniger einer streng individualistischen Konzeption<br />

von kulturellen Rechten verpflichtet sind, haben mit<br />

einigen Autonomieformen Probleme. So warnt Henry<br />

Steiner bei seinem Versuch, die Vielfalt und den<br />

Reichtum ethnischer Gruppen zu evaluieren, davor,<br />

eine Gemeinschaft hermetisch von den anderen<br />

trennen zu wollen:<br />

„Rechte, die autonome Regierungen und ethnische<br />

Minderheiten aufgrund der Menschenrechte bis hin<br />

zum Selbstbestimmungsrecht durch Autonomie<br />

erhalten, könnten als Ermächtigung interpretiert<br />

werden, den „anderen“ auszuschließen (...) Verstärkte<br />

ethnische Trennung verhindert beides: zum einen<br />

den Austausch zwischen Gruppen, und zum andern<br />

die kreative Entfaltung innerhalb getrennt („isoliert“)<br />

lebender Gemeinschaften. Dies führt zur Verarmung<br />

von Kulturen und <strong>Völker</strong>n (...). Dies heißt, dass ein<br />

Staat, der aus segregierten Regimes besteht, mehr<br />

einem Museum sozialer und kultureller Antiquitäten<br />

gleicht als jedem Ideal von Menschenrechten und<br />

friedlichem Zusammenleben.“ 102<br />

Dieses Argument ist besonders stichhaltig <strong>für</strong> die<br />

traditionelle Form der Indianerreservate Amerikas.<br />

Im Allgemeinen ist Regionalautonomie immer<br />

ein Ausgleich zum strukturellen Ungleichgewicht<br />

zwischen der kulturell dominanten Titularnation eines<br />

Staats und einzelnen Minderheiten. Verschiedene<br />

Formen gemeinschaftlicher Entscheidungsfindung<br />

innerhalb eines Autonomiesystems können dieses<br />

Risiko reduzieren. Doch letztendlich entscheidet der<br />

freie politische Prozess innerhalb einer autonomen<br />

Region und innerhalb der Minderheit selbst, wie<br />

das gewünschte Gleichgewicht wieder hergestellt<br />

wird. <strong>Moderne</strong> demokratische Rechtsstaaten sind<br />

schon aufgrund ihrer Verfassung und internationale<br />

Konventionen zur Achtung grundlegender<br />

Menschenrechte und politischer Freiheiten verpflichtet.<br />

Autonomiestatute und ihre rechtliche Anwendung<br />

muss diesen übergeordneten Normen entsprechen.<br />

<strong>Autonomiesysteme</strong> beruhen grundsätzlich auf<br />

der Annahme, dass kulturelle Unterschiede eine<br />

<strong>Gesellschaft</strong> bereichern als gefährden. Aber eine<br />

solche Vielfalt kann nur dann bereichern, wenn die<br />

verschiedenen Identitäten erhalten bleiben und nicht<br />

eingeebnet werden. In der globalisierten Welt muss<br />

kulturelle Vielfalt gegen (westliche) Homogenisierung<br />

102 Henry Steiner, Ideals and counter-ideals in the struggle over<br />

autonomy regimes for minorities, Notre Dame Law Review 66 (5),<br />

S. 1552, zitiert von Yash Ghai (2000), S. 501. Die Niederlassungsfreiheit,<br />

also das Recht, sich frei in und aus einer Region zu bewegen<br />

und sich dort anzusiedeln, bildet einen strittigen Punkt in der<br />

Regelung mancher Territorialautonomien.<br />

2 Das Konzept der politischen Autonomie<br />

verteidigt werden, und dies kann u.a. auch durch<br />

kulturelle Autonomie geschehen. In dieser Hinsicht<br />

hebt H.-J. Heintze hervor, dass<br />

„manche der Autonomie ankreiden, sie würde<br />

getrennte ethnische Identitäten einer Gruppe<br />

fördern, wodurch die betroffene Minderheit als<br />

verschieden herausgelöst werde. Die Existenz<br />

schlechthin eines solchen speziellen Status würde<br />

die Entwicklung von überlappenden, einschließenden<br />

Identitäten verhindern. Es besteht die Be<strong>für</strong>chtung,<br />

dass das Konzept einer <strong>Gesellschaft</strong> gleicher Bürger<br />

einer Zivilgesellschaft schlecht vereinbar sei mit der<br />

Herauslösung von spezifischen Gruppen aufgrund<br />

der Ethnizität.“ 103<br />

Und Svante Cornell warnt davor, dass die „ethnische<br />

Kantonisierung eines multiethnischen Staates oder<br />

jeder Form einer Konkordanzdemokratie auf lange<br />

Sicht nicht hilfreich sei, da es explizit zwischen Gruppen<br />

nach Religion, Sprache oder nationaler Herkunft<br />

diskriminiere. 104 Zwei Konzepte von Bürgerschaft und<br />

kultureller Identität stehen aneinander gegenüber,<br />

was diskutiert werden muss. Doch wiederum muss<br />

der freie demokratische Wille einer gegebenen<br />

Gemeinschaft voll berücksichtigt werden. Mit anderen<br />

Worten: Selbstbestimmung kann in verschiedenen<br />

Formen und unterschiedlichen Verfahren geschehen,<br />

doch muss es sich um eine „Bestimmung“ durch das<br />

betroffene, in diesem Fall kollektive „Selbst“ handeln.<br />

Schließlich unterstreichen die Gegner von<br />

Autonomielösungen oft, dass <strong>Autonomiesysteme</strong> in<br />

bestimmten historischen Fällen gescheitert sind. 105<br />

In der Tat, die Gesamtbilanz der Autonomie in ihrem<br />

Anliegen, ethnische Konflikte zu lösen, ist nicht völlig<br />

positiv. Es gibt eine Reihe von Beispielen, wo Autonomie<br />

Spannungen reduziert hat, andere wo Autonomie<br />

gescheitert ist. Doch gilt es sorgfältig zu analysieren,<br />

warum bestimmte Territorial-autonomien gescheitert<br />

sind: war einseitiges Handeln des Zentralstaats<br />

Ursache <strong>für</strong>s Scheitern? Lag der Grund da<strong>für</strong> im Fehlen<br />

eines echten demokratischen und rechtsstaatlichen<br />

Umfelds? Oder hat ein Wandel der internationalen<br />

politischen Rahmenbedingungen zum Scheitern<br />

geführt? Schließlich, waren eher interne Faktoren<br />

interethnischer Konflikte innerhalb der autonomen<br />

Region oder das Fehlen jeglichen interethnischen<br />

Zusammenwirkens in der Anwendung der Autonomie<br />

103 Hans-Joachim Heintze (2002), Implementation, S.340<br />

104 Svante Cornell (2001), Autonomy and conflict, Uppsala, 228<br />

105 Z.B. die Autonomie des Kosovo (Serbien) 1974-1989, Eritreas<br />

(Äthiopien) 1952-1968, des Südsudan 1954-83, und des Memel-<br />

Klaipeda-Gebiets zwischen den beiden Weltkriegen.<br />

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