06.11.2013 Aufrufe

Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />

70<br />

Jeder Bereich, der von der Verfassung nicht explizit<br />

dem Zentralstaat zugewiesen ist, wird seitdem von den<br />

Regionen wahrgenommen. Somit ist der Zentralstaat<br />

nur mehr zuständig <strong>für</strong>:<br />

- Außen- und Verteidigungspolitik<br />

- Durchführung der EU-Maßnahmen<br />

- Staatsbürgerschaftsfragen und Immigration<br />

- Zivil- und Strafrecht<br />

- Verwaltung der Gerichtsbarkeit<br />

- Umweltschutz (Rahmengesetzgebung)<br />

- Der Schutz bürgerlicher und sozialer Rechte.<br />

Gemeinsame Gesetzgebung ist <strong>für</strong> die Bereiche<br />

der überregionalen zentralen Strukturen, der<br />

Sozialversicherung, des Arbeitsrechtes, der<br />

Raumordnung und Urbanistik vorgesehen,<br />

während alle übrigen Politikfelder zur Gänze in<br />

die Verantwortung der Regionen fallen. Auch auf<br />

internationaler Ebene können Italiens Regionen nun<br />

Abkommen mit anderen europäischen Regionen<br />

abschließen. Die Zentralregierung übt keine direkte<br />

Kontrolle über die regionale Gesetzgebung aus, kann<br />

sie aber – ebenso wie die Regionalstatuten – vor dem<br />

Verfassungsgerichtshof anfechten. Die Präsidenten<br />

der Regionen werden direkt vom Volk gewählt. Die<br />

Regionalräte (Parlamente der Regionen) arbeiten ihre<br />

Statuten selbst aus und verabschieden sie.<br />

Doch wenn Italien sich in einen Bundesstaat<br />

umformen oder – wie Spanien – ein „Staat autonomer<br />

Gemeinschaften“ werden möchte, hat es einen noch<br />

weiten Weg zu bewältigen. 125 Zur Zeit sind Italiens<br />

Regionen mit Normalstatut nicht nur damit befasst,<br />

ihre Verwaltungskapazitäten <strong>für</strong> die neuen Aufgaben<br />

auszubauen, sondern müssen sich auch im Rahmen<br />

des angestrebten Steuerföderalismus mehr finanzielle<br />

Einnahmen sichern.<br />

Neben dieser allgemeinen Entwicklung Italiens in<br />

Richtung Regionalisierung ist in der italienischen<br />

Verfassung der Schutz nationaler Minderheiten<br />

festgeschrieben (Art. 6). Die wichtigste Maßnahme im<br />

Sinne dieses Verfassungsauftrags war die Einrichtung<br />

einer Sonderautonomie <strong>für</strong> jene Regionen, wo eine<br />

solche Minderheit lebt. Je ausgeprägter die regionale<br />

Selbstver-waltung, desto eher gelingt die Anerkennung<br />

und der Schutz von ethnischen Minderheiten auf<br />

lokaler Ebene, weil zahlenmäßig kleine Gruppen in<br />

ihrer Region ein größeres Gewicht haben oder gar die<br />

125 Vgl. Francesco Palermo (2004), Italy’s long devolutionary<br />

path towards federalism, in: Ortino/Zagar/Mastny (eds.), The changing<br />

faces of federalism: institutional reconfiguration in Europe from<br />

East to West, Manchester, S. 182-201 unter: http://www.eurac.edu/<br />

Press/Publications/Monographs/0049635.htm<br />

Mehrheit der Bevölkerung stellen wie in Südtirol, dem<br />

Aostatal und in Sardinien. Diese Form des Schutzes<br />

ist hingegen nicht direkt anwendbar auf die übrigen,<br />

kleineren Sprachminderheiten Italiens. Die heute am<br />

besten geschützten Minderheiten Italiens sind darum<br />

die Frankoprovenzalen des Aostatals, die Deutschen<br />

und Ladiner Südtirols und die Slowenen Friaul-Julisch<br />

Venetiens. 126 Seit Inkrafttreten des Rahmengesetzes<br />

zum Schutz der Sprachminderheiten Nr.482/1999<br />

dürfen auch Normalregionen in diesem Bereich stärker<br />

tätig werden, was zu Schutzmaßnahmen auf regionaler<br />

Ebene auch <strong>für</strong> andere kleinere Minderheiten geführt<br />

hat. So schützt Piemont seine Okzitanen und die Walser,<br />

Venetien die Deutsch- und Ladinischsprachigen, Molise<br />

die Albaner und die kroatische Minderheit, Kalabrien<br />

die Franko-Provenzalen, Arberesh usw. Doch in den<br />

meisten Fällen griffen diese Regionalgesetze zu kurz,<br />

da zu allgemeine oder gar utopische Ziele angepeilt<br />

wurden, ohne da<strong>für</strong> die entsprechenden Instrumente<br />

und Mittel bereitzustellen.<br />

3.1.1 Die Autonomie Südtirols<br />

Südtirol befindet sich im äußersten Norden Italiens an<br />

der Grenze zu Österreich und nimmt 2,4% der Fläche<br />

Italiens ein. Südtirol ist ein Gebirgsland mit dicht<br />

besiedelten Tälern. Die Route über den Brennerpass<br />

bildet heute die wichtigste Nord-Süd-Transitachse<br />

durch die Alpen. Mit 481.000 Einwohnern (2005)<br />

stellt Südtirol 0,7% der Bevölkerung Italiens. 2001<br />

waren fast 70% davon deutschsprachige Südtiroler,<br />

etwa 26% Italiener und etwas über 4% Ladiner,<br />

die zur rätoromanischen Sprachfamilie gehören<br />

und konzentriert in fünf Dolomitentälern leben. 127<br />

Die Mehrheit der deutschen Volksgruppe lebt im<br />

ländlichen Raum, während infolge der Geschichte der<br />

relativ jungen Immigration zwischen 1920 und 1960<br />

die Italiener in den vier größten Städten Südtirols<br />

konzentriert sind.<br />

3.1.2 Die Entstehung der Autonomie<br />

Südtirol war Jahrhunderte lang integraler Teil Tirols,<br />

das seinerseits von 1315 bis 1919 mit Unterbrechung<br />

der bayrischen (1806-1809) und napoleonischen<br />

Besatzungszeit (1810-1814) zum Habsburgerreich<br />

gehörte. Italien unterzeichnete 1915 einen Geheimpakt<br />

126 Staatsgesetz Nr. 482 vom 15. Dezember 1999 (“Norme in<br />

materia di tutela delle minoranze linguistiche storiche”). Text auf:<br />

http://www.parlamento.it/leggi/99482l.html<br />

127 Laut Sprachgruppenzugehörigkeitserklärungen, vgl. ASTAT,<br />

http://www.provinz.bz/astat

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!