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Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

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<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />

122<br />

an Rumänien agitierte. In Transnistrien, dessen<br />

Bevölkerung mehrheitlich aus ethnischen Russen<br />

besteht, geriet Moldawien sogar in kriegerische<br />

Auseinandersetzungen mit Rebellen, die von der dort<br />

stationierten 14. Russischen Armeedivision unterstützt<br />

wurden. Auch in den südlich gelegenen Hügelgebieten<br />

Gagausiens stieg die Spannung, als die Gagausen eine<br />

eigene Volksfront bildeten. Im März 1994 sprachen sich<br />

bei einer Volksbefragung über 90% der Bevölkerung<br />

Moldawiens <strong>für</strong> ein unabhängiges Moldawien und<br />

gegen einen Anschluss an Rumänien aus. Im Juli 1994<br />

wurde die neue Verfassung Moldawiens verkündet, die<br />

noch keine Autonomie weder <strong>für</strong> Transnistrien noch <strong>für</strong><br />

Gagausien enthielt.<br />

Als die neu konstituierte Republik eine ganz auf die<br />

Staatssprache Moldawisch fixierte Sprachenregelung<br />

verabschiedete, riefen die Gagausen in Comrat ihre<br />

eigene Miniatur-Sowjetrepublik aus. Während schon<br />

manche Beobachter den Ausbruch einer zweiten Front<br />

blutiger Konfrontation zwischen separati-stischen<br />

Kräften und dem Militär be<strong>für</strong>chteten, einigten<br />

sich beide Parteien – die Führung der Gagausen<br />

und die Regierung in Chisinau – auf eine politische<br />

Verhandlungslösung. Die Chancen zur friedlichen<br />

Lösung des Konflikts waren in diesem Fall besser<br />

als in Transnistrien, weil gelegentliche bewaffnete<br />

Zwischenfälle nicht eskaliert waren und der Großteil<br />

der selbsternannten gagausischen Führung die<br />

territoriale Integrität Moldawiens im Allgemeinen nicht<br />

in Frage stellte, sondern nur im Falle eines Anschlusses<br />

an Rumänien.<br />

Diese Be<strong>für</strong>chtung wurde durch das Eintreten<br />

des Präsidenten Snegur <strong>für</strong> die Eigenständigkeit<br />

Moldawiens und durch eine klare Absage an<br />

Anschluss-Bestrebungen an Rumänien entkräftet.<br />

Die neue Regierung, bestehend aus der ehemaligen<br />

demokratischen Bauernpartei und der früheren<br />

kommunistischen Partei, hatte gegenüber den beiden<br />

„rebellischen“ Regionen weit mehr Gespür als die<br />

vorhergehende Regierung der nationalistischen<br />

Volksfront.<br />

Am 23. Dezember 1994 verabschiedete das<br />

Moldawische Parlament das „Gesetz zum besonderen<br />

Rechtsstatus von Gagausien (Gagauz Yeri) in der<br />

Republik Moldova“. 197 Das Kernziel dieses Gesetzes<br />

ist die „Gewährung von territorialer Autonomie an<br />

Gagausien mit einer besonderen Rechtsposition, das,<br />

als eine Form der Selbstbestimmung der Gagausen,<br />

197 Der gesamte Text des Autonomiegesetzes unter: http://www.<br />

miris/country/moldova<br />

einen Teil der Republik Moldawien bildet“ (Art.1). Gemäß<br />

diesem Gesetz besteht das Territorium Gagausiens aus<br />

all jenen Gemeinden, in welchen die Gagausen mehr<br />

als 50% der Bevölkerung stellen. Auf dieser Grundlage<br />

wurde im März 1995 in allen Gebieten des südlichen<br />

Moldawiens mit gagausischer Bevölkerung ein<br />

Referendum über den Beitritt zum neuen autonomen<br />

Territorium abgehalten. 30 Gemeinden entschieden<br />

sich <strong>für</strong> die Gründung Gagausiens zum 1. Januar 1996.<br />

Zusammen mit der Autonomen Republik Krim war<br />

Gagausien damit der einzige Fall Osteuropas, wo ein<br />

ethnischer Konflikt mit Territorialautonomie beigelegt<br />

werden konnte.<br />

Am 14. Mai 1998 nahm Gagausiens Volksversammlung<br />

das Grundgesetz oder „regulament“ <strong>für</strong> Gagausien<br />

an, das die allgemeinen Bestimmungen des<br />

Autonomiestatuts von 1994 genauer fasste. Eine<br />

zunächst geplante Volksabstimmung darüber wurde<br />

vom Höchstgericht Moldawiens blockiert. Erst<br />

2003 wurde die Autonomie Gagausiens auch in der<br />

moldawischen Verfassung verankert.<br />

3.7.2 Das Autonomiearrangement<br />

Der Inhalt der Territorialautonomie Gagausiens ist<br />

im “Gesetz zum Sonderrechtsstaus von Gagausien<br />

(Gagauz Yeri)“ dargelegt, das nur mit einer Mehrheit<br />

von 3/5 des moldawischen Parlaments abgeändert<br />

werden kann. 198 Art. 1 dieses Grundgesetzes sieht<br />

Folgendes vor:<br />

a. Gagausien (Gagauz Yeri) ist eine autonome Einheit<br />

mit Sonderstatus als Form der Selbstbestimmung<br />

der Gagausen und bildet einen integralen Teil der<br />

Republik Moldawien.<br />

b. Innerhalb seiner Kompetenzen kann Gagausien<br />

Fragen seiner politischen, ökonomischen und<br />

kulturellen Entwicklung im Interesse der gesamten<br />

Bevölkerung selbst lösen.<br />

c. Alle von der Verfassung verbrieften und in<br />

der Gesetzgebung Moldawiens vorgesehenen<br />

bürgerlichen Rechte und Freiheiten werden auch<br />

auf dem Gebiet Gagausiens gewährleistet.<br />

d. Im Fall der Änderung des Status der Republik<br />

Moldawien als eines unabhängigen Staats hat die<br />

Bevölkerung Gagausiens das Recht auf externe<br />

Selbstbestimmung.<br />

Absatz d) ist von besonderem Interesse auch <strong>für</strong><br />

andere Konfliktfälle zwischen Staaten und nationalen<br />

198 Priit Järve, 2005, S. 435; der gesamte Text findet sich auch<br />

unter: http://www.miris/country/moldova

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