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Der Übergang in den Ruhestand - Wege, Einflussfaktoren und

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<strong>Der</strong> <strong>Übergang</strong> <strong>in</strong> <strong>den</strong> <strong>Ruhestand</strong> 4. Austrittspfade<br />

4.6.2 Die zwangsweise Frühpensionierung<br />

Frau G. ist Witwe <strong>und</strong> lebt <strong>in</strong> der Stadt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gemieteten Wohnung. Ihre zwei erwachsenen<br />

K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d nicht verheiratet <strong>und</strong> haben ke<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der. Frau G. ist heute 67-jährig <strong>und</strong><br />

liess sich vor vier Jahren nach dem Tod ihres Mannes pensionieren.<br />

Frau G. ist gebürtige Engländer<strong>in</strong> <strong>und</strong> wuchs <strong>in</strong> <strong>den</strong> USA <strong>und</strong> <strong>in</strong> England auf, wo sie auch<br />

die Ausbildung zur Pianist<strong>in</strong> machte. Nachher studierte sie <strong>in</strong> Paris Kunstgeschichte. Als Pianist<strong>in</strong><br />

lebte sie e<strong>in</strong>ige Zeit <strong>in</strong> England. Doch sie wollte immer e<strong>in</strong>e Familie <strong>und</strong> K<strong>in</strong>der.<br />

Den Beruf als Pianist<strong>in</strong> mit der Familienarbeit zu komb<strong>in</strong>ieren, kam für sie nicht <strong>in</strong> Frage,<br />

weil sie überzeugt ist, dass e<strong>in</strong>es von bei<strong>den</strong> gelitten hätte. Nach der Heirat <strong>in</strong> der Schweiz<br />

arbeitete sie im Geschäft ihres Mannes, der e<strong>in</strong>e Textilagentur besass. Sie half bei <strong>den</strong> adm<strong>in</strong>istrativen<br />

Arbeiten, das Pensum variierte. Solange die K<strong>in</strong>der kle<strong>in</strong> waren, handelte es<br />

sich dabei um e<strong>in</strong>zelne Halbtage pro Woche. Als der Betrieb florierte, arbeitete sie 50 Prozent.<br />

Später, als ihr Mann die Agentur wieder alle<strong>in</strong> betrieb, war sie auf Abruf „Mädchen<br />

für alles“. Daneben war sie verantwortlich für die K<strong>in</strong>dererziehung <strong>und</strong> das grosse Haus mit<br />

Garten. Zudem engagierte sie sich karitativ. Wenn Frau G. angefragt wurde, machte sie zusätzlich<br />

Übersetzungen oder Stellvertretungen <strong>in</strong> Galerien. Diese Arbeiten waren Fre<strong>und</strong>schaftsdienste.<br />

Ende der Achzigerjahre erkrankte ihr Mann an Krebs. Er war dadurch zunehmend <strong>in</strong> der<br />

Arbeit e<strong>in</strong>geschränkt, so dass Frau G. ihn immer mehr unterstützen musste. Als er 1998<br />

starb, liquidierte sie das Geschäft <strong>in</strong>nert zwei Monaten. Die Perspektiven der Agentur waren<br />

schlecht, e<strong>in</strong> Verkauf daher nicht möglich. Auch hatten weder sie noch ihre K<strong>in</strong>der Interesse,<br />

das Geschäft zu übernehmen. Nache<strong>in</strong>ander verkaufte sie auch das Wohnhaus sowie e<strong>in</strong><br />

weiteres Haus, das der Familie gehörte <strong>und</strong> bezog e<strong>in</strong>e Mietwohnung <strong>in</strong> der Stadt.<br />

Gedanken zur Pensionierung machte sich Frau G. vorher nie, sie war zu beschäftigt. Sie lebt<br />

heute von der AHV-Rente <strong>und</strong> vom Vermögen, das teilweise <strong>in</strong> Aktien angelegt ist. Frau G.<br />

hat ke<strong>in</strong>e Pensionskasse. Sie ist ges<strong>und</strong> <strong>und</strong> würde gerne etwa zwei Tage pro Woche arbeiten,<br />

doch f<strong>in</strong>det sie nichts Passendes. Zweimal war Frau G. e<strong>in</strong>er Anstellung nahe, bis die<br />

Angebote kurzfristig wieder zurückgezogen wur<strong>den</strong>. Sie verbr<strong>in</strong>gt ihre Zeit mit Besuchen<br />

von Ausstellungen, Konzerten <strong>und</strong> Opernbesuchen, worauf sie sich immer sehr ausführlich<br />

durch Lektüre vorbereitet. Sie me<strong>in</strong>t dazu: „Das ist me<strong>in</strong> Lebens<strong>in</strong>halt. Und ich würde sehr<br />

viel mehr machen, wenn ich die f<strong>in</strong>anziellen Möglichkeiten hätte.“ Frau G. ist sich bewusst,<br />

dass sie sich schon als K<strong>in</strong>d an e<strong>in</strong>en eher hohen Lebensstandard gewöhnt hatte <strong>und</strong> dass ihre<br />

Passion teuer ist. Sie fühlt sich daher f<strong>in</strong>anziell e<strong>in</strong>geschränkt <strong>und</strong> hofft auf e<strong>in</strong>e Erholung<br />

der Börse.<br />

Frau G. braucht ihren Freiraum <strong>und</strong> will ihren Interessen nachgehen. Sie hat wenige<br />

Fre<strong>und</strong>/<strong>in</strong>nen, die ihre Lei<strong>den</strong>schaft für Opernbesuche teilen. Die karitativen Tätigkeiten hat<br />

sie stark abgebaut, weil es jetzt ihrer Ansicht nach an der jüngeren Generation liegt, sich zu<br />

engagieren. Geprägt durch die Kriegsjahre <strong>und</strong> Schicksalsschläge hat sie es aufgegeben, ihr<br />

Leben zu planen. Sie entscheidet spontan, verreist kurzfristig <strong>und</strong> bei Gelegenheit für Konzerte,<br />

jedoch nicht <strong>in</strong> die Ferien. Die Planung für e<strong>in</strong>e Reise nach Vietnam hat sie aus f<strong>in</strong>anziellen<br />

<strong>und</strong> politischen Grün<strong>den</strong> abgebrochen. Allerd<strong>in</strong>gs möchte sie gerne ihre Verwandten<br />

<strong>in</strong> London <strong>und</strong> New York besuchen. Sie reiste früher viel <strong>und</strong> hat jetzt e<strong>in</strong> Nachholbedürfnis.<br />

Ihr grösster Wunsch ist aber, ges<strong>und</strong> zu bleiben <strong>und</strong> ges<strong>und</strong> zu sterben.<br />

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