1 Die Transzendentalien des Seins als onto-theologische ...
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<strong>Die</strong>ses zweifache Verhältnis, das zwischen Bonaventura und den aristotelischen Texten zu<br />
bestehen scheint, wird aus einem Blickwinkel verständlich, der nicht allein das Verhältnis zwischen<br />
zwei Autoren erfaßt, sondern zugleich die verschiedenen Umstände in Geschichte und Kontext, die<br />
bei dieser Bewertung in Betracht kommen. Deshalb können das veränderte universitäre Umfeld und<br />
die Gefährdung der Lehre, die Bonaventura bei seinem letzten Aufenthalt in Paris erleben mußte,<br />
auch die Erklärung für die unterschiedliche Gewichtung und den anderen Tonfall liefern bzw.<br />
erleichtern, welche die Texte erkennen lassen. 21 Wie wir später noch sehen werden, sind die<br />
Metaphysik der <strong>Seins</strong>analogie und der Exemplarismus die systematischen Einstellungen, die<br />
Bonaventura aus der aristotelischen bzw. der platonischen Strömung <strong>des</strong> Denkens übernimmt.<br />
1. 2. Scientia philosophica est veritatis ut scrutabilis notitia certa<br />
In der vierten Sammlung der Collationes de septem donis Spiritus Sancti, wo von der Gabe<br />
der Wissenschaft (donum scientiae) die Rede ist, geht Bonaventura von einer zweifachen<br />
Betrachtung der Wissenschaften aus: nach dem Licht <strong>des</strong> natürlichen Erkennens bzw. <strong>des</strong><br />
Verstan<strong>des</strong>, das in jedem animal rationale angelegt ist, und nach dem Licht <strong>des</strong> Glaubens. 22 <strong>Die</strong>se<br />
Unterscheidung schafft die Grundlage für eine vierfache Gliederung der Wissenschaften in<br />
Übereinstimmung mit der Art und Weise, in der jede von ihnen Kenntnis (notitia) von der Wahrheit<br />
besitzt. <strong>Die</strong> ersten beiden, Philosophie und Theologie, arbeiten spekulativ, die beiden übrigen,<br />
scientia gratuita und scientia gloriosa, sind im Geltungsbereich der Gnade angesiedelt. <strong>Die</strong><br />
philosophische Spekulation wird sich daher mit der Wahrheit <strong>als</strong> überprüfbarer Erkenntnis befassen,<br />
während die <strong>theologische</strong> Wissenschaft eine Spekulation über die Wahrheit <strong>als</strong> glaubwürdiger<br />
Erkenntnis sein wird. 23<br />
Nach dem Muster der divisio philosophiae, wie die akademisch-stoische Richtung sie<br />
kennt, führt Bonaventura dann eine Dreiteilung der philosophischen Wissenschaft in scientia<br />
21<br />
Vgl. O. Argerami, “San Buenaventura frente al aristotelismo”, op.cit., S. 35-36.<br />
22 De septem donis Spiritus Sancti, IV, 2 (V, 474 a): “Donum scientiae duo antecedunt: unum est sicut lumen<br />
innatum et aliud est sicut lumen infusum. Lumen innatum est lumen naturalis iudicatorii sive rationis; lumen<br />
superinfusum est lumen fidei. Quantum ad primum dicit: Deus, qui dixit lucem splen<strong>des</strong>cere, id est lumen<br />
naturalem iudicatorii creaturae rationali”.<br />
23 ibid., IV, 5 (V, 474 b): “Scientia philosophica nihil aliud est quam veritas ut scrutabilis notitia certa.<br />
Scientia theologica est veritatis ut credibilis notitia pia. Scientia gratuita est veritatis ut diligibilis notitia<br />
sancta. Scientia gloriosa est veritatis ut <strong>des</strong>iderabilis notitia sempiterna”. Vgl. W. Kluxen, Der Begriff der<br />
Wissenschaft, in: P. Weimar (hrsg.), <strong>Die</strong> Renaissance der Wissenschaften im 12. Jahrhundert, Zürich (1981)<br />
S. 273-293.<br />
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