1 Die Transzendentalien des Seins als onto-theologische ...
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darstellt. <strong>Die</strong>ser Spiegel führt dem Mensch von den Geschöpfen zum Schöpfer, gleich einer inneren<br />
Reise an die tiefste Quelle <strong>des</strong> Wirklichen insgesamt. 110<br />
Man hätte mithin zwei Analyseperspektiven, aus denen sich die Möglichkeit ergibt, die<br />
funktionelle Seite der <strong>Transzendentalien</strong> und deren philosophische Bedeutung in Bonaventuras<br />
Denken zu zeigen: in Hinsicht auf die allgemein betrachteten geschaffenen Wesen (<strong>onto</strong>logische<br />
Sicht = vestigium), sowie in Hinsicht auf den Menschen <strong>als</strong> ein zur Gotteserkenntnis befähigtes<br />
Wesen (anthropologische Sicht = imago). In diese Sicht gehört ebenso die Betrachtung <strong>des</strong><br />
gnoseologischen Aspekts, der, wie wir noch sehen, systematisch in Entsprechung zur <strong>onto</strong>logischen<br />
Struktur organisiert wird. Denn unterschiedlichen Stufen <strong>des</strong> <strong>Seins</strong> entsprechen auch<br />
unterschiedliche Stufen <strong>des</strong> Erkennens. <strong>Die</strong>ser kognitive Aspekt, unter dem die <strong>Transzendentalien</strong><br />
betrachtet werden, stellt eine methodische Perspektive dar, die eine reflektierte Analyse der<br />
menschlichen Erkenntnis impliziert, eine „Auflösung“ (resolutio) unserer Begriffe bis zum ersten,<br />
das der Verstand wahrnimmt. Es ist die gleiche Perspektive, aus der Thomas seine<br />
<strong>Transzendentalien</strong>lehre angeht, und vielleicht mag es überraschen, wie Aertsen meint, eine solche<br />
Perspektive der Analyse im Mittelalter vorzufinden, nachdem in den vergleichenden Studien zur<br />
kantischen Transzendentalphilosophie und der <strong>Transzendentalien</strong>lehre im Mittelalter allgemein der<br />
<strong>onto</strong>logische Charakter <strong>des</strong> letzteren hervorgehoben wurde. Sowohl für Thomas wie für<br />
Bonaventura sind die <strong>Transzendentalien</strong> in der Abfolge <strong>des</strong> Erkennens die sog. prima, d.h. die<br />
Größen, die das Fundament rationaler Erkenntnis bilden. 111<br />
<strong>Die</strong>ser abschließende Vergleich mit der <strong>Transzendentalien</strong>lehre bei Thomas von Aquin setzt<br />
jedoch keine Gleichheit der Kriterien für beide Autoren voraus. Denn zunächst wäre hinsichtlich<br />
der thomasischen Auffassung von der Metaphysik zu diskutieren, ob bei ihm eine dialektische<br />
Absicht im Sinne einer Grundlegung auf logischer Ebene besteht oder ob es sich hier um eine Ontologie<br />
<strong>als</strong> letztgültige Unterlage logischer Erwägungen handelt. Sodann wäre trotz aller<br />
Ähnlichkeiten zwischen den beiden Autoren ein grundlegender Unterschied festzuhalten, nämlich<br />
daß die Lehre von den <strong>Transzendentalien</strong> bei Thomas ohne theologisch Grundlegung bleibt,<br />
110 Itin., I, 2 (V, 297 a): “Cum enimsecundum status conditionis nostrae ipsa rerum universitas sit scala ad<br />
ascendendum in Deum”. Vgl. A. Zimmermann, Ontologie oder Metaphysik?, op.cit, S. 347.<br />
111 <strong>Die</strong>se sozusagen “transzendentale Perspecktive” hat nicht zu tun mit der auf den erst neuzeitlichen, in<br />
engeren Sinne mit Kant einsetzenden Charakter eines auf die Bedingungen der Möglichkeit <strong>des</strong> menschlichen<br />
Erkennens reflektierenden (erkenntnistheoretischen) Denkens. Vgl. J. A Aertsen, Medieval Philosophy and the<br />
Transcendent<strong>als</strong>, op.cit., S. 104.<br />
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