Umwelt und Straßenverkehr
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ihrer Geltung <strong>und</strong> die Symboldimension wird weit gehend<br />
ausgeblendet.<br />
– Im Rahmen dieser Strategie ist es unausweichlich, die<br />
Rolle Deutschlands als „Transitland“ zu akzeptieren.<br />
Der damit gegebenen Sachzwanglogik, die sich durch<br />
die EU-Osterweiterung noch verschärft, kann außer<br />
Übelminimierung nichts entgegengesetzt werden.<br />
Dass gerade die Mittellage Deutschlands angesichts<br />
der EU-Osterweiterung auch Anlass sein müsste, strategische<br />
<strong>und</strong> konzeptionelle Alternativen zu entwickeln,<br />
wie sie in der Schweiz <strong>und</strong> Österreich diskutiert<br />
werden, wird dadurch außer Betracht gesetzt.<br />
140. Die konzeptionell-strategische Verbindung aus besagtem<br />
Paradigma <strong>und</strong> der sie begleitenden Übelminimierung<br />
bedarf einer gr<strong>und</strong>sätzlichen Überprüfung. Ziel<br />
sollte die Konzeption einer neuen, an normativen Prinzipien<br />
<strong>und</strong> an Nachhaltigkeitsgr<strong>und</strong>sätzen, wie sie zum<br />
Beispiel der SRU entwickelt hat (SRU, 2002a, 2002b),<br />
ansetzenden Gr<strong>und</strong>strategie sein, die ihren Ausdruck in<br />
konkreten verkehrspolitischen Zielsetzungen findet<br />
(Kap. 5.5). Eine solche verkehrspolitische Alternative<br />
kann als „humane <strong>und</strong> naturverträgliche Mobilitätskultur“<br />
bezeichnet werden.<br />
5.3.2 Möglichkeiten zur Neuorientierung<br />
141. Der im Auftrag des BMVBW erstellte „Bericht Integrierte<br />
Verkehrspolitik“ (BIV) (BECKMANN et al.,<br />
2002) enthält zaghafte Ansätze zu einer solchen strategischen<br />
Neuorientierung. Hierzu gehört insbesondere das<br />
Langfristziel einer Entkoppelung von Verkehrsaufkommen<br />
<strong>und</strong> Bruttosozialprodukt. Dieser Ansatz wird allerdings<br />
nur halbherzig verfolgt <strong>und</strong> in die fernere Zukunft<br />
verschoben. So favorisiert der BIV für die kommenden<br />
Jahre ganz im Sinne des vorherrschenden Paradigmas<br />
eine nachfrage- bzw. ausbauorientierte Strategie der „Problementschärfung“<br />
<strong>und</strong> der „Engpassbeseitigung“, wobei<br />
beides nur eng im Sinne von Verkehrsengpässen definiert<br />
wird. Der Engpassbegriff wird allerdings nicht so verstanden,<br />
dass <strong>Umwelt</strong>ziele sowie Aspekte der Verkehrssicherheit<br />
<strong>und</strong> der Lebensqualität der Verkehrsdynamik<br />
verkehrsexterne Grenzen setzen könnten. Selbst die<br />
Langfristperspektive des BIV wird im Sinne des dominanten<br />
Paradigmas als „Anpassung“ an den zu erwartenden<br />
demographischen, technologischen <strong>und</strong> ökonomischen<br />
Strukturwandel <strong>und</strong> weniger als Resultat einer aktiv gestaltenden<br />
Mobilitätspolitik begriffen (BECKMANN<br />
et al., 2002, S. 10 <strong>und</strong> S. 27 f.). Das langfristig angestrebte<br />
dynamische Gleichgewicht zwischen Verkehrsnachfrage<br />
<strong>und</strong> Kapazitäten stellt sich im BIV erst nach<br />
weiteren Jahren des Kapazitätsausbaus ein. Erst dann gibt<br />
es kein Ausbauerfordernis mehr, da, grob interpretiert,<br />
eine alternde <strong>und</strong> zahlenmäßig schrumpfende Bevölkerung<br />
die Nachfrage offenbar nicht mehr steigern kann.<br />
142. Nur konsequent wäre es dann aber, bei den heutigen<br />
verkehrspolitischen Entscheidungen die zukünftigen<br />
Präferenzen <strong>und</strong> Interessen einer insgesamt alternden Bevölkerung<br />
angemessen zu berücksichtigen. Langfristige<br />
Planungen sollten sich immer auch an zukünftigen Präfe-<br />
Normative Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Ziele<br />
renzen orientieren, sofern sich über diese plausible Aussagen<br />
formulieren lassen.<br />
Die verkehrspolitisch entscheidende Frage müsste demnach<br />
lauten, ob das erst in der BIV-Langfristperspektive<br />
avisierte Gleichgewicht nicht bereits die kurz- <strong>und</strong> mittelfristige<br />
Verkehrspolitik bestimmen sollte. Angesichts der<br />
Zeitdimension <strong>und</strong> der Budgetierung des BVWP wäre es<br />
auch unter finanzpolitischen Erwägungen kurzsichtig,<br />
diesen Verkehrswegeplan auch dann in die Tat umzusetzen,<br />
wenn sich überzeugende Argumente für eine strategische<br />
Neuorientierung formulieren lassen <strong>und</strong> der demographische<br />
Langfristtrend eher gegen als für einen<br />
weiteren Ausbau der Verkehrsinfrastruktur spricht.<br />
143. Diese Möglichkeiten der Neuorientierung werden<br />
bereits heute dadurch in Zweifel gezogen, dass die Wertvorstellungen<br />
künftiger älterer Verkehrsteilnehmer gemäß<br />
dem heute vorherrschenden Paradigma konzipiert werden<br />
(exemplarisch hierfür Shell, 2004). In der Shell-Studie<br />
wird in dem durch viele implizierte Wertungen favorisierten<br />
so genannten Impulse-Szenario unterstellt, dass Mitglieder<br />
einer Generation, deren „gesamter Lebensweg mit<br />
dem Auto verwoben“ (Shell, 2004, S. 28 f.) war, ihre<br />
Wertvorstellungen im höheren Alter nicht aus freien Stücken<br />
nennenswert ändern werden <strong>und</strong> dies aufgr<strong>und</strong> des<br />
vererbten Wohlstandes auch nicht müssen.<br />
Es geht also um die Alternative, ob die heutigen Staatsbürger<br />
ihre authentischen Wertvorstellungen <strong>und</strong> Überzeugungen<br />
in dem „Werte-Cocktail“ (Shell, 2004, S. 23)<br />
wieder erkennen, der ihnen vom „Impulse“-Szenario der<br />
Shell-Studie angesonnen wird, oder ob sie unterschiedliche<br />
Leitbilder, Prinzipien, Werte <strong>und</strong> Ziele auf ihre Vereinbarkeit<br />
mit den übrigen Werten einer zivilen Bürgergesellschaft<br />
zu prüfen bereit sind. Eine ernsthafte<br />
Bereitschaft, sich auf einen solchen Diskurs einzulassen,<br />
setzt neben einer klaren Begrifflichkeit (s. o.) mindestens<br />
voraus, das bislang vorherrschende Paradigma der Verkehrspolitik<br />
nicht dogmatisch zu vertreten, Leitbilder<br />
offen zu diskutieren, die Thesen der kritischen Verkehrswissenschaft<br />
zur Kenntnis zu nehmen, die Symboldimension<br />
des Automobils (Kap. 4.2) nicht zu verdrängen <strong>und</strong><br />
Ambivalenzen des MIV anzuerkennen.<br />
144. Die Gr<strong>und</strong>erfahrung des MIV ist mittlerweile die Erfahrung<br />
von vielschichtigen Ambivalenzen (FELDHAUS,<br />
1998). Nur noch eine kleine Minderheit von 7 Prozent<br />
stimmt der These zu, dass Autofahren heute mehr Spaß<br />
mache als früher. 30 Prozent stimmen der gegenteiligen<br />
These zu (STEINKOHL et al., 1999, S. 40). Ambivalenzerfahrungen<br />
bieten Möglichkeiten zur Neuorientierung<br />
im Denken, Wahrnehmen <strong>und</strong> Handeln. Eine alternative<br />
Verkehrsstrategie braucht daher das Automobil nicht zu<br />
„verteufeln“, sondern sollte die Möglichkeiten veränderter<br />
Mobilitätsstile <strong>und</strong> dementsprechender Anerkennungsverhältnisse<br />
innerhalb einer mobilen, wertpluralistischen<br />
<strong>und</strong> kulturell diversifizierten Gesellschaft offensiv<br />
thematisieren <strong>und</strong> nutzen. Hierzu bestehen vielfältige<br />
Möglichkeiten. Insofern ist die Möglichkeit einer anderen<br />
Mobilitätskultur latent <strong>und</strong> tendenziell im allgemeinen<br />
Wertewandel <strong>und</strong> in der „Selbstentzauberung des Automobils“<br />
angelegt. Eine alternative Strategie bzw. eine