Umwelt und Straßenverkehr
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gerückt werden, einen relevanten Einfluss auf die Nutzungsintensität<br />
ihrer PKW haben.<br />
Der SRU kann an dieser Stelle nur wiederholen, was<br />
schon oft gesagt wurde: Die Substitute des MIV, besonders<br />
der öffentliche Personenverkehr, die unter dem Wert<br />
der Sicherheit bereits gut abschneiden, müssen unter anderen<br />
Werthinsichten optimiert werden, damit viele individuelle<br />
Entscheidungen gegen die Benutzung des PKW<br />
entweder einen Nutzengewinn versprechen, als indifferent<br />
erlebt werden oder nur noch „low-cost“-Situationen<br />
darstellen, in denen bekanntlich <strong>Umwelt</strong>gesichtspunkte<br />
den Ausschlag geben können. Wenn aus der Sicht eines<br />
Verkehrteilnehmers die Option zugunsten des öffentlichen<br />
Personenverkehrs einen deutlich negativen Nutzen<br />
aufweist (teuer, langsam, unbequem, mühselig, unzuverlässig),<br />
bedarf es angesichts der Marginalität individuellen<br />
Verhaltens für die gesamten <strong>Umwelt</strong>belastungen des<br />
Verkehrs ausgeprägter Überzeugungen, diese „schlechtere“<br />
Option zu wählen. Damit ist über die quantitativen<br />
Potenziale einer sinnvollen Verlagerungsstrategie <strong>und</strong> deren<br />
Stellenwert im Rahmen einer „Verkehrswende“ noch<br />
nichts gesagt (hierzu Kap. 6.2).<br />
4.2.3 Gleichbehandlung <strong>und</strong><br />
Gleichberechtigung<br />
115. Der Wert der Gleichberechtigung wird häufig auf<br />
die Demokratisierung des einstigen Luxusgutes Automobil<br />
bezogen. Die Verfügung über ein eigenes Automobil<br />
zählt für viele zum kollektiven Besitzstand. Obwohl es<br />
kein „Recht auf Automobilität“ gibt (vgl. dazu Tz. 130),<br />
muss die Verkehrspolitik berücksichtigen, dass viele<br />
Menschen den Wunsch haben, ein eigenes Auto zu besitzen<br />
<strong>und</strong> zu benutzen. Eine verkehrspolitische Verteuerungsstrategie,<br />
die vorrangig versucht, die externen Kosten<br />
des <strong>Straßenverkehr</strong>s verursachergerecht anzulasten,<br />
würde die Erfüllung dieses Wunsches für Personen mit<br />
niedrigen Einkommen deutlich erschweren. Da dadurch<br />
bei Angehörigen der einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen<br />
schnell der Eindruck entstünde, sie würden<br />
nun auch noch durch die Verkehrspolitik benachteiligt,<br />
dürften solche reinen Verteuerungsstrategien auf erheblichen<br />
Widerstand stoßen. Tatsächlich können höhere<br />
Kraftstoffpreise für Autofahrer mit geringem Einkommen<br />
eine weitere Ausgrenzung von der aktiven Teilnahme am<br />
sozialen Leben <strong>und</strong> zunehmende Isolation bedeuten.<br />
Der Wert der Gleichberechtigung steht insofern in einem<br />
Spannungsverhältnis zu reinen Verteuerungsstrategien<br />
(FELDHAUS, 1999, S. 114). Dies gilt ungeachtet dessen,<br />
dass Autofahrer mit geringem Einkommen aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />
Wohnsituation durchschnittlich stärker von den externen<br />
Effekten des MIV betroffen sind als Autofahrer mit höherem<br />
Einkommen (LITMAN, 2002) <strong>und</strong> insofern überdurchschnittlich<br />
von einer Reduzierung der externen Effekte<br />
profitieren würden. Auch die Tatsache, dass die<br />
Mehrheit der Haushalte im Bevölkerungssegment mit den<br />
niedrigsten Einkommen bereits heute über kein Auto verfügt<br />
(VOIGT, 2000) <strong>und</strong> deshalb durch eine Verteuerungsstrategie<br />
keine weiteren Nachteile erleiden würde,<br />
kann das genannte Spannungsverhältnis nicht auflösen.<br />
94<br />
Akteure <strong>und</strong> Rahmenbedingungen der Verkehrspolitik<br />
Der Wert der Gleichberechtigung könnte also ein Gr<strong>und</strong><br />
sein, verkehrspolitische Strategien nicht ausschließlich<br />
als Verteuerungsstrategie zu konzipieren.<br />
Zur Entschärfung des angeführten Zielkonfliktes kommen<br />
verschiedene Strategien in Betracht. Eine bestünde<br />
darin, Strukturen, die zum Angewiesensein auf PKW beitragen,<br />
zu verändern (s. Kap. 10.4). Allerdings verspricht<br />
diese Strategie bestenfalls eine langfristige Lösung. Eine<br />
zweite Möglichkeit zur Konfliktentschärfung wäre es, attraktive<br />
Angebote zur Nutzung des ÖPNV in soziale<br />
Transferleistungen einzubeziehen. Drittens kommt auch<br />
die Kombination einer Verteuerungsstrategie mit einer finanziellen<br />
Unterstützung sozial schwacher Personen in<br />
Betracht. Hierfür wäre etwa die Zahlung einer Mobilitätspauschale<br />
an Personen mit geringem Einkommen geeignet.<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich sollten jedenfalls verkehrspolitische<br />
Strategien, die durch Verteuerung von Besitz <strong>und</strong> Nutzung<br />
von Automobilen faktisch in den vermeintlichen<br />
Besitzanspruch eingreifen, durch flankierende Maßnahmen<br />
ergänzt werden, die die Mobilität der Betroffenen<br />
anderweitig erhöhen (zur Definition von Mobilität vgl.<br />
Tz. 128).<br />
Es stellt sich hinsichtlich des Wertes der Gleichbehandlung<br />
nicht nur die Frage, inwieweit der Wunsch nach einem<br />
eigenen Auto für alle gleichermaßen erfüllbar ist.<br />
Vielmehr sind Mobilität <strong>und</strong> Lebenschancen aller Gruppen<br />
in den Blick zu nehmen. Untersuchungen kommen zu<br />
dem Ergebnis, dass Kinder <strong>und</strong> Jugendliche, Frauen, behinderte<br />
Personen, ältere Personen sowie Bewohner ländlicher<br />
Regionen zu den strukturell benachteiligten Gruppen<br />
gehören (hierzu <strong>und</strong> für das Folgende s. LITMAN,<br />
2002, m. w. N.). Die Vorteile von Strukturen, die eine Angewiesenheit<br />
auf den PKW nach sich ziehen, steigen für<br />
PKW-Besitzer mit höheren Einkommen naturgemäß<br />
stark, <strong>und</strong> diese Strukturen benachteiligen Personen, die<br />
nicht über einen PKW verfügen. Verkehrsberuhigende<br />
Maßnahmen hingegen bewirken häufig Vorteile in der<br />
Gleichheitsdimension. Eine Orientierung am Wert der<br />
Gleichheit erfordert, die Interessen der benachteiligten<br />
Bevölkerungsgruppen zukünftig verkehrspolitisch viel<br />
stärker zu berücksichtigen (vgl. hierzu Abschn. 5.5.1.4).<br />
4.2.4 Symboldimension<br />
116. Eng mit Besitz <strong>und</strong> Nutzung von Automobilen ist<br />
das komplexe Bedürfnis nach sozialer Geltung verknüpft.<br />
Wie kaum ein anderes technisches Gerät eignet sich das<br />
Automobil für eine symbolische Besetzung. Das Auto<br />
– <strong>und</strong> in gewissen Grenzen auch der Benutzer oder Besitzer<br />
des Autos – wird mit bestimmten Eigenschaften in<br />
Verbindung gebracht, die zumindest in Teilen der Gesellschaft<br />
Wertschätzung genießen. Zu diesen mit Autos in<br />
Verbindung gebrachten Eigenschaften gehören etwa Individualität,<br />
Vitalität, erotische Ausstrahlung <strong>und</strong> Dynamik.<br />
Gleichzeitig sind Automobile der Oberklasse immer auch<br />
Positionsgüter (hierzu REISCH, 1995), deren Präsentation<br />
bedeutsamer sein kann als deren Gebrauchsnutzen.<br />
Das Automobil signalisiert soziale Zugehörigkeiten <strong>und</strong><br />
ist nicht nur ein Transportmittel, sondern ein präsentatives<br />
Symbol (im Sinne von LANGER, 1979, S. 103). Die