Umwelt und Straßenverkehr
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2003; BIERHAUS et al., 2003). Der Nachweis eines kausalen<br />
Zusammenhangs ist allerdings sehr schwierig, da<br />
die beschriebenen Reaktionen unspezifisch sind <strong>und</strong> auch<br />
durch zahlreiche andere <strong>Umwelt</strong>faktoren hervorgerufen<br />
werden können. So hängt der <strong>Straßenverkehr</strong>slärm vom<br />
Verkehrsaufkommen ab <strong>und</strong> ist daher von Beeinträchtigungen<br />
der Luftqualität begleitet, die ebenfalls als Einflussfaktor<br />
mit zu berücksichtigen sind. Zudem sind<br />
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sehr häufig <strong>und</strong> manifestieren<br />
sich erst nach vielen Jahren bzw. erst nach Jahrzehnten,<br />
wodurch eine Zuordnung von Ursache <strong>und</strong> Wirkung<br />
erschwert wird. In epidemiologischen Studien<br />
wurde eine Zunahme ges<strong>und</strong>heitlicher Probleme meist<br />
dann aufgezeigt, wenn Global- <strong>und</strong> Aggregatdaten erhoben<br />
oder wenn sowohl die Ges<strong>und</strong>heitsstörungen als auch<br />
die Lärmbelastung von den Betroffenen erfragt worden<br />
waren. Untersuchungen, in denen Bluthochdruck <strong>und</strong><br />
Herzinfarkte klinisch verifiziert <strong>und</strong> mit der quantifizierten<br />
Lärmbelastung individuell verknüpft wurden, konnten<br />
seltener einen Zusammenhang nachweisen (BABISCH<br />
et al., 1999; LERCHER <strong>und</strong> KOFLER, 1993). In einer<br />
Studie zum Herzinfarkt an 4 680 Männern, die auch bezüglich<br />
der Lärmbelastung an ihrer Wohnadresse untersucht<br />
wurden, ergab sich ein erhöhtes relatives Risiko in<br />
der höchsten Belastungsstufe (66 bis 70 dB(A)) im Vergleich<br />
zur niedrigsten (51 bis 55 dB(A)). In der nach zehn<br />
Jahren erstellten Folgestudie war das Risiko eines Herzinfarktes<br />
in der höchsten Belastungsstufe nicht mehr<br />
signifikant gegenüber den anderen Gruppen erhöht<br />
(BABISCH et al., 1993; 1999).<br />
In einer umfangreichen Studie an 4 115 Patienten zum<br />
Herzinfarktrisiko (BABISCH, 2004) ergab sich bei Männern<br />
eine mit dem <strong>Straßenverkehr</strong>slärm ansteigende Infarktrate.<br />
Die odds ratio (= Kreuzproduktverhältnis: ist<br />
ein „Assoziationsmaß“ für zwei kategoriale Variablen. Da<br />
die odds ratio ein Verhältnis beschreibt, bedeutet „kein<br />
Unterschied“ eine odds ratio von 1. Ein Wert größer als 1<br />
beschreibt ein Risiko für ein Ereignis, ein Wert kleiner<br />
als 1 beschreibt einen „Schutz“ vor einem Ereignis) beträgt<br />
1,18 in den beiden höchsten Pegelkategorien gegenüber<br />
der Referenzgruppe <strong>und</strong> ist bei den Männern, die<br />
mindestens zehn Jahre nicht umgezogen sind, mit<br />
1,33 statistisch signifikant erhöht. Die Ergebnisse stützen<br />
die Hypothese, dass chronische Einwirkungen von Verkehrslärm<br />
das Risiko für ischämische Herzkrankheiten<br />
erhöhen.<br />
Auch wenn die Frage nach der Kausalität zwischen Verkehrsgeräuschen<br />
<strong>und</strong> kardiovaskulären Erkrankungen<br />
noch offen ist, kann eine gewisse epidemiologische Evidenz<br />
eines erhöhten Risikos von Bluthochdruckerkrankungen<br />
sowie Herzinfarkt im Zusammenhang mit der Exposition<br />
gegenüber <strong>Straßenverkehr</strong>slärm nicht geleugnet<br />
werden. So ist das Risiko der Hypertonie (Bluthochdruck)<br />
oberhalb eines energieäquivalenten Dauerschallpegels<br />
(L Aeq) am Tag von 70 dB(A) <strong>und</strong> von ischämischen<br />
Herzerkrankungen oberhalb von L Aeq am Tag von<br />
65 dB(A) nicht zurückzuweisen (BABISCH, 1998; 2000;<br />
JOB, 1996; STANSFELD et al., 2000; van KEMPEN<br />
et al., 2002).<br />
48<br />
Auswirkungen des <strong>Straßenverkehr</strong>s auf Mensch <strong>und</strong> <strong>Umwelt</strong><br />
2.1.4 Lebensqualität<br />
30. Der Begriff der Lebensqualität wurde Mitte der<br />
1960er-Jahre wirtschaftswissenschaftlich geprägt, um<br />
verstärkt dem Umstand Rechnung zu tragen, dass das<br />
wirtschaftliche Wachstum kein eigentliches Ziel darstellt,<br />
sondern der Verbesserung der menschlichen Lebensverhältnisse<br />
dienen soll (GLATZER, 1990). Während als Lebensstandard<br />
die objektiv messbare Einkommenssituation<br />
bezeichnet wird, soll die Lebensqualität als Maß für das<br />
subjektiv erlebte Wohlbefinden der Menschen dienen. Es<br />
ist möglich, dass bei steigendem Lebensstandard die Lebensqualität<br />
stagniert oder sinkt.<br />
Die Lebensqualität kann aufgr<strong>und</strong> ihrer Subjektivität<br />
nicht objektiv gemessen werden. Sie muss indirekt über<br />
verschiedene Indikatoren erfasst werden. Bei der Erfassung<br />
von Lebensqualität durch geeignete Indikatoren<br />
werden im Allgemeinen verschiedene Lebensbereiche berücksichtigt<br />
(z. B. Arbeitsbedingungen, Wohnverhältnisse,<br />
persönliche Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Bildung, Sozialbeziehungen,<br />
<strong>Umwelt</strong>einflüsse des Wohnumfelds). Zur<br />
Lebensqualität zählen dabei auch Gelegenheiten zur ungestörten<br />
Ausübung von Tätigkeiten, die auch um ihrer<br />
selbst willen geschätzt werden, wie etwa Spielen, Feiern,<br />
Musizieren, Wandern, Spazierengehen, Kunstgenuss,<br />
sportliche Betätigung, Muße usw.. Der <strong>Straßenverkehr</strong><br />
mitsamt seinen Auswirkungen zählt als entscheidende<br />
Störquelle zu den Faktoren, durch welche die Lebensqualität<br />
hinsichtlich der genannten Tätigkeiten beeinträchtigt<br />
wird.<br />
Auch im Ges<strong>und</strong>heitsbereich gewinnt die Messung <strong>und</strong><br />
Bewertung von Lebensqualität zunehmend an Bedeutung –<br />
insbesondere an solchen Punkten, wo bereits ein Entwicklungsniveau<br />
erreicht ist, bei dem rein quantitative<br />
Maße an analytischer Aussagekraft verlieren oder zumindest<br />
keine hilfreichen Kriterien oder Indikatoren mehr für<br />
eine erreichte Entwicklung oder deren Vergleich darstellen<br />
(RADOSCHEWSKI, 2000). Hinsichtlich der ges<strong>und</strong>heitsbezogenen<br />
Lebensqualität ist es lediglich möglich,<br />
dieses Konzept mithilfe geeigneter Indikatoren <strong>und</strong><br />
Messmethoden für ein bestimmtes Untersuchungsziel zu<br />
operationalisieren <strong>und</strong> messbar zu machen, wobei die<br />
Messmethoden jeweils für die entsprechenden Fragestellungen<br />
angepasst werden müssen. Ein allgemein taugliches<br />
Maß existiert nicht (RADOSCHEWSKI, 2000). Der<br />
SRU hat das Konzept der ges<strong>und</strong>heitsbezogenen Lebensqualität<br />
bereits im Bezug auf die Fluglärmbelastung von<br />
Flughafenanwohnern genauer betrachtet (SRU, 2002a,<br />
Tz. 595).<br />
31. Neben den bereits behandelten Faktoren wie Verkehrssicherheit,<br />
Luftverschmutzung <strong>und</strong> Lärm hat der<br />
<strong>Straßenverkehr</strong> noch einige andere, als negativ zu bewertende<br />
Einflüsse auf die Lebensqualität. Im Zentrum steht<br />
dabei die Einschränkung der Bewegungsmöglichkeiten,<br />
von der im besonderen Maße die Verkehrsteilnehmer betroffen<br />
sind, die den motorisierten <strong>Straßenverkehr</strong> selbst<br />
nicht aktiv nutzen. Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen<br />
dabei Kinder <strong>und</strong> alte Menschen. Bei Letzteren wird<br />
damit gerechnet, dass deren Anteil an der Bevölkerung<br />
stetig zunimmt <strong>und</strong> im Jahr 2050 mehr als ein Drittel