Umwelt und Straßenverkehr
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652. Ende der 1980er-Jahre wurde das punkt-axiale<br />
Modell durch das Schlagwort der dezentralen Konzentration<br />
neu belebt <strong>und</strong> erweitert (BMBau, 1993, S. 6;<br />
s. a. KAGERMEIER, 1997, S. 58; SPIEKERMANN,<br />
2002; APEL et al., 1995, S. 46 ff.; s. a. Abb. 10-3). Während<br />
zuvor vor allem ländlich-periphere Räume in ihrer<br />
Entwicklung durch eine Konzentration der Entwicklungsimpulse<br />
auf Entwicklungspole gestützt werden sollten,<br />
wurde nun dieses Konzept – wie auch im raumordnungspolitischen<br />
Orientierungsrahmen vorgesehen (BMBau,<br />
1993, S. 4) – auf großstädtische Räume übertragen <strong>und</strong><br />
sollte zu einer räumlichen Strukturierung <strong>und</strong> Lenkung<br />
der bestehenden Wachstumstendenzen genutzt werden.<br />
Gleichzeitig sollten damit die Achsenzwischenräume für<br />
eine multifunktionale Nutzung durch die Landwirtschaft,<br />
siedlungsnahe Erholung <strong>und</strong> Wander- <strong>und</strong> Lebensräume<br />
für Tiere <strong>und</strong> Pflanzen sowie als klimatische Ausgleichsräume<br />
erhalten werden. Zudem bezieht sich dieses<br />
heute immer noch forcierte Konzept nun nicht mehr<br />
nur auf eine Stadtregion mit ihrem Umland, sondern<br />
umfasst auch weiter entfernt liegende größere Zentren<br />
als Entlastungsstandorte zur Bildung von Städtenetzen<br />
(BERGMANN et al., 1993, S. 520 ff.; MEHWALD,<br />
1995; s. Abb. 10-3 „Zukunft 3“). Auch bei diesem Konzept<br />
zur Steuerung der Siedlungsstruktur wird ein hohes<br />
Maß an politischem Gestaltungswillen auch auf kommunaler<br />
Ebene erforderlich (STIENS, 2003, S. 120).<br />
Das raumplanerische Konzept der dezentralen Konzentration<br />
wird durch städtebauliche Leitbilder wie die<br />
„Stadt der kurzen Wege“ oder das der „kompakten<br />
Stadt“ ergänzt (JESSEN, 1996; HOLZ-RAU, 1997;<br />
LÖDLER, 2000; APEL et al., 1995, S. 46 f. <strong>und</strong> S. 49;<br />
SPIEKERMANN, 2002). Dabei soll wiederum eine hohe<br />
Baudichte, eine Mischung der Nutzungen der besiedelten<br />
Bereiche sowie eine ökologische Aufwertung der Aufenthaltsqualität<br />
der Freiräume in den Quartieren angestrebt<br />
werden. Empirische Daten (KAGERMEIER, 1997,<br />
S. 59 f.) belegen, dass eine Mischung der Nutzungen zu<br />
einer Verminderung des Verkehrs beitragen kann, auch<br />
wenn dies nicht zwangsläufig der Fall sein muss<br />
(LÖDLER, 2000).<br />
653. Seit Anfang der 1990er-Jahre werden zunehmend<br />
polyzentrale Strukturmodelle diskutiert, die gegenüber<br />
den punkt-axialen Sternmodellen auf axiale<br />
Siedlungsbänder verzichten, nachrangige Orte betonen<br />
<strong>und</strong> neben den traditionellen radialen Achsen Tangentialverbindungen<br />
innerhalb der Städtenetze ausweisen<br />
(KAGERMEIER, 1997, S. 60; s. Abb. 10-3 „Zukunft 1“<br />
<strong>und</strong> „Zukunft 2“). Dieses Konzept rückt weiter ab von<br />
einer Konzentration der Siedlungsstrukturen auf die Haltepunkte<br />
des Nahverkehrs <strong>und</strong> dürfte deshalb eher verkehrserzeugend<br />
wirken. Es führt ferner dazu, dass die regionalen<br />
Grünzüge in den Achsenzwischenräumen<br />
fragmentiert <strong>und</strong> von der umgebenden Landschaft abgeschnitten<br />
werden, sodass Verbindungsfunktionen der<br />
Landschaft für Erholungssuchende, Tiere <strong>und</strong> Pflanzen<br />
<strong>und</strong> mesoklimatische Zusammenhänge gestört werden.<br />
654. Eine der wenigen empirischen Studien zum Zusammenhang<br />
von Siedlungsstruktur <strong>und</strong> Verkehrsverhalten<br />
wurde durch KAGERMEIER (1997) am Beispiel<br />
Südbayern erarbeitet. In dieser Untersuchung wurden<br />
Verkehrserzeugende Raumstrukturen <strong>und</strong> ihre Korrekturen<br />
nicht nur die Berufs- <strong>und</strong> Ausbildungsverkehre, sondern<br />
auch die Einkaufsverkehre <strong>und</strong> eingeschränkt der Freizeitverkehr<br />
– sowohl in die Freiräume als auch in die<br />
Kernzentren – analysiert. KAGERMEIER kommt auf<br />
dieser Gr<strong>und</strong>lage zu folgendem Fazit (S. 194; ähnlich<br />
auch HOLZ-RAU et al., 1997 für die Region Stuttgart;<br />
KUTTER, 1991 für den Großraum Berlin):<br />
– „Die beiden entscheidenden Variablen für den Verkehrsaufwand<br />
sind die Größenrelationen zwischen der<br />
Kernstadt <strong>und</strong> den nachrangigen Zentren sowie die<br />
Entfernungen von den Nebenzentren zur Kernstadt.<br />
Entfernungen zwischen 30 km <strong>und</strong> 80 km (zwischen<br />
nachrangigem Zentrum <strong>und</strong> Kernzentrum, Anm. d.<br />
Verf.) sowie Einwohnerzahlen zwischen 50 000 <strong>und</strong><br />
250 000 markieren im Verflechtungsbereich von München<br />
günstige siedlungsstrukturelle Bedingungen für<br />
geringen Verkehrsaufwand.<br />
– Die nachrangigen Zentren sollen möglichst wenig tributäre<br />
Funktion für die Kernstadt erfüllen, sondern<br />
einen möglichst hohen Autonomiegrad aufweisen.<br />
– Das punkt-axiale Prinzip von Siedlungsachsen hat bei<br />
der in Südbayern gegebenen Distanz- <strong>und</strong> Größenentwicklung<br />
sein Optimum überschritten. Seine weitere<br />
Anwendung für die Siedlungsentwicklung würde verkehrsaufwandssteigernd<br />
wirken.<br />
– Da ein möglichst hoher Autonomiegrad für die Ausbauzentren<br />
angestrebt wird, kommt der Schaffung tangentialer<br />
ÖV-Verbindungen keine hohe Priorität zu.<br />
– Auch die kleinräumige Nutzungsmischung besitzt unter<br />
dem Aspekt des Verkehrsaufwandes nicht den hohen<br />
Stellenwert, der ihr in der aktuellen Diskussion<br />
beigemessen wird. Nutzungsmischung ist zusammen<br />
mit einer dichten <strong>und</strong> kompakten städtebaulichen Gestaltung<br />
im Wesentlichen nur unter dem Blickwinkel<br />
geringer MIV-Anteile im Binnenverkehr von Bedeutung.<br />
– Das Vorhandensein privater <strong>und</strong> halbprivater Wohnaußenräume<br />
wirkt dämpfend auf die Freizeitmobilität.<br />
Auf die Gestaltung des Wohnumfeldes ist bei der städtebaulichen<br />
Detailplanung ein besonderes Augenmerk<br />
zu richten.“<br />
Damit wird die gr<strong>und</strong>sätzliche Geltung der raumordnerischen<br />
Konzepte – allen voran das Konzept der Zentralen<br />
Orte <strong>und</strong> das Achsenkonzept – nicht infrage gestellt.<br />
Denn verschiedene Analysen (HABERMANN-NIEßE,<br />
2004; GROß, 2004) zeigen, dass das größte Problem die<br />
mangelnde Umsetzung der raumordnerischen Leitbilder<br />
ist. Die gesetzlichen Gr<strong>und</strong>lagen für eine verkehrssparende<br />
Siedlungsentwicklung sind seit langem vorhanden<br />
(Abschn. 10.4.3). In der Praxis werden Regional- <strong>und</strong><br />
Stadtplanung oftmals nicht oder allenfalls unzureichend<br />
mit der Verkehrsplanung verknüpft (STEIN, 2004). Es<br />
wird allerdings deutlich, dass weitere Faktoren das Verkehrsgeschehen<br />
entscheidend mit beeinflussen. Die<br />
Durchsetzung verkehrssparender Siedlungsstrukturen ist<br />
zwar eine nicht hinreichende, aber doch notwendige Bedingung<br />
zur Verkehrsvermeidung. Neben den siedlungsstrukturellen<br />
Ausgangsbedingungen sind offensichtlich<br />
auch die individuellen Mobilitätserwartungen <strong>und</strong> -mög-<br />
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