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Umwelt und Straßenverkehr

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So können etwa Bewohner einer „Stadt der kurzen Wege“<br />

ihre verschiedenen Ziele erreichen, ohne weite Wege zurücklegen<br />

zu müssen. Umgekehrt werden Bewohner in<br />

dispersen Siedlungsstrukturen vielfach für das gleiche<br />

Maß an Zielerreichung wesentlich mehr am Verkehrsgeschehen<br />

teilnehmen müssen. An diesen Beispielen wird<br />

deutlich, dass Mobilität wesentlich von Raum-, Siedlungs-<br />

<strong>und</strong> Infrastrukturen abhängt.<br />

Mobilität wird bisweilen auch im Sinne einer Teilnahme<br />

am Verkehrsgeschehen definiert (so etwa INFAS <strong>und</strong><br />

DIW, 2004). Versteht man Mobilität in diesem Sinn, so<br />

sind Menschen nur dann mobil, wenn sie sich tatsächlich<br />

im Raum bewegen <strong>und</strong> sie sind definitionsgemäß umso<br />

mobiler, je häufiger sie „unterwegs“ sind <strong>und</strong> je längere<br />

Strecken sie zurücklegen. Nur unter diesem begrifflichen<br />

Verständnis lassen sich die messbaren Zuwächse des Verkehrsaufkommens<br />

als Mobilitätsgewinne bezeichnen.<br />

Demnach würde die Überwindung größerer Distanzen<br />

zwischen Wohnort, Arbeitsplatz <strong>und</strong> Ferienorten per se<br />

ein Mobilitätswachstum darstellen. Diese Begriffsdefinition<br />

erlaubt es allerdings nicht, Mobilität generell als ein<br />

hochwertiges Gut anzusehen (so etwa INFAS <strong>und</strong> DIW,<br />

2004, S. 1), da man in der Regel davon ausgehen kann,<br />

dass die im Verkehr verbrachte Zeit – mit Ausnahme des<br />

so genannten Erlebnisverkehrs – an sich betrachtet keinen<br />

Nutzen stiftet.<br />

Der SRU möchte im Folgenden zwischen Mobilität <strong>und</strong><br />

Verkehr unterscheiden. „Mobilität“ wird als Dispositionsbegriff<br />

verstanden, der sich auf bestehende <strong>und</strong> politisch<br />

gestaltbare Möglichkeiten der Erreichbarkeit von Orten<br />

zum Zwecke der Realisierung von Interessen bezieht. Die<br />

tatsächlichen Ortsveränderungen werden dagegen als<br />

„Verkehr“ oder „Verkehrsgeschehen“ bezeichnet. So werden<br />

die Begriffe auch in der Nachhaltigkeitsstrategie der<br />

B<strong>und</strong>esregierung verwendet (B<strong>und</strong>esregierung, 2002,<br />

S. 177; s. a. DIEWITZ et al., 1998; BECKER, 2003).<br />

Diese Unterscheidung verhindert es, die bloße Verlängerung<br />

der regelmäßig zurückzulegenden Wegstrecken<br />

(Tz. 77) <strong>und</strong> die Steigerung des Verkehrsaufkommens per<br />

se als einen Zugewinn an Mobilität interpretieren zu müssen.<br />

Auch müssen verkehrserzeugende Strukturen (vgl.<br />

Kap. 10) nicht mehr als mobilitätsfördernd angesehen<br />

werden (bspw. Verlagerung von Einzelhandelseinrichtungen<br />

auf die „grüne Wiese“).<br />

Die getroffene Unterscheidung erlaubt es, das Ziel der<br />

Mobilitätssicherung anzuerkennen, ohne aufgr<strong>und</strong> dessen<br />

auf Maßnahmen zur Reduktion des <strong>Straßenverkehr</strong>saufkommens<br />

<strong>und</strong> zur Eindämmung verkehrserzeugender<br />

Strukturen verzichten zu müssen. Damit eröffnen sich<br />

Spielräume für eine Mobilitätspolitik, die als nachhaltig<br />

im Sinne des SRU (2002a, Kap. 1) bezeichnet werden<br />

kann. Eine solche Mobilitätspolitik muss dafür sorgen,<br />

ein angemessenes, das heißt sowohl den Bedürfnissen aller<br />

Bevölkerungsgruppen als auch den wirtschaftlichen<br />

Erfordernissen Rechnung tragendes, Mobilitätsniveau zu<br />

gewährleisten <strong>und</strong> das Verkehrsgeschehen mitsamt den<br />

dafür benötigten Siedlungs- <strong>und</strong> Infrastrukturen umwelt<strong>und</strong><br />

naturverträglich zu gestalten.<br />

100<br />

Normative Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Ziele<br />

Eine besondere Frage ist, inwieweit höhere Geschwindigkeiten<br />

zu einer höheren Mobilität führen. Angesichts der<br />

getroffenen Begriffsdefinition ist im Prinzip von einem<br />

solchen Zusammenhang auszugehen, da innerhalb eines<br />

festgesetzten Zeitbudgets mehr Ziele erreicht werden<br />

können. Allerdings gilt dieser Zusammenhang nur, wenn<br />

folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens dürfen<br />

sich die zur Zielerreichung zurückzulegenden Distanzen<br />

nicht in gleichem Maße wie die Geschwindigkeit erhöhen,<br />

wie dies in der Vergangenheit überwiegend der Fall<br />

war (vgl. Tz. 131). In diesem Fall bliebe die Zahl der innerhalb<br />

eines Zeitbudgets erreichbaren Ziele unverändert.<br />

Zweitens dürfen keine anderen Gründe die durch erhöhte<br />

Geschwindigkeiten hinzugekommenen Möglichkeiten<br />

restringieren. Für Personen, deren Möglichkeiten zur<br />

Ortsveränderung vorrangig durch ihr finanzielles Budget<br />

beschränkt sind, könnten Geschwindigkeitssteigerungen,<br />

die mit erhöhten Verkehrskosten einhergehen, sogar eine<br />

Verringerung von Mobilität mit sich bringen.<br />

In der kritischen Verkehrswissenschaft spielt der Begriff<br />

der „Zwangsmobilität“ eine große Rolle. Er bezieht sich<br />

der Sache nach auf die Alternativlosigkeit, zur Realisierung<br />

wichtiger Bedürfnisse ein bestimmtes Verkehrsmittel<br />

nutzen zu müssen, was in aller Regel darauf hinausläuft,<br />

auf den (eigenen) PKW „angewiesen“ zu sein.<br />

Allerdings ist es bei den gegenwärtigen Verkehrsstrukturen<br />

faktisch <strong>und</strong> methodisch unmöglich, den Anteil an erzwungener<br />

Verkehrsteilnahme am gesamten Verkehrsaufkommen<br />

quantitativ zu bestimmen. Auch lassen sich die<br />

vielfältigen Beweggründe, den PKW zu nutzen, nicht<br />

adäquat durch ein binäres Schema „freiwillig-gezwungen“<br />

erfassen. Daher findet der Terminus „Zwangsmobilität“<br />

im Folgenden keine Verwendung. „Mobilitätsgewinne“<br />

sind nach der hier vertretenen Begriffsbildung die<br />

Verbesserungen der Chancen, durch Ortsveränderung Interessen<br />

realisieren zu können. Dass für viele Personen<br />

der privat nutzbare PKW auch einen echten Mobilitätsgewinn<br />

im hier definierten Sinne bedeutet, steht außer<br />

Frage. Es ist jedoch abwegig, aus der Steigerung des Verkehrsaufkommens<br />

pauschal zu folgern, die positive Einstellung<br />

der Bevölkerung zum Auto wüchse weiter (so<br />

aber STEINKOHL et al., 1999, S. 40).<br />

129. Der elementare Sinn von Mobilität, nämlich die<br />

Freiheit zu körperlicher Bewegung bzw. zu Ortsveränderung<br />

<strong>und</strong> die Abwesenheit äußerer Einschränkungen dieser<br />

Freiheit, kann als ein menschliches Gr<strong>und</strong>bedürfnis<br />

gedeutet werden (FELDHAUS, 1999). Diese basale Freiheit<br />

wird – selbstverständlich unter dem Vorbehalt der<br />

Schrankenwirkung der allgemeinen Rechtsordnung –<br />

durch Artikel 2 Abs. 1 GG geschützt. Daraus ergibt sich<br />

aber nicht, dass alle möglichen Mobilitätsinteressen unter<br />

Verweis auf dieses elementare Bedürfnis gerechtfertigt<br />

werden können. Ziele <strong>und</strong> Maßnahmen zur weiteren Erhöhung<br />

des Mobilitätsniveaus sind daher mit Blick auf<br />

die jeweils involvierten Interessen <strong>und</strong> auf die möglichen<br />

Ziel-, Schutzgüter- <strong>und</strong> Interessenkonflikte zu thematisieren.<br />

So können bspw. die Interessen nach Reduktion von<br />

Transportaufwand <strong>und</strong> nach Zeitersparnis auf bestimmten<br />

Wegstrecken nicht mit dem elementaren Bedürfnis nach<br />

Bewegungsfreiheit gerechtfertigt werden, sondern müs-

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