Umwelt und Straßenverkehr
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an dem als plausibel angenommenen Rahmenszenario<br />
<strong>und</strong> dem danach zu erwartenden Verkehrsaufkommen bemessen,<br />
nicht aber an politisch-planerisch gesetzten Gestaltungszielen.<br />
Indem die im Rahmenszenario angenommenen<br />
Verkehrsentwicklungen auch der Nutzen-Kosten-<br />
Bewertung zugr<strong>und</strong>e gelegt werden, werden sie de facto<br />
zur Zielvorgabe umgedeutet. Die B<strong>und</strong>esverkehrswegeplanung<br />
steht damit in der Tradition des Predict-andprovide-Paradigmas,<br />
das davon ausgeht, dass sich die Infrastrukturkapazitäten<br />
der wachsenden Nachfrage anpassen<br />
müssen (vgl. Kap. 5). Dieses Paradigma erweist sich<br />
in städtischen Räumen <strong>und</strong> Agglomerationen bereits<br />
heute als unrealistisch, da die Kapazitäten hier nicht beliebig<br />
ausgeweitet werden können, ohne gewachsene<br />
Stadtstrukturen zu zerstören. Dieses Paradigma wird aber<br />
auch generell zunehmend infrage gestellt (s. Kap. 5.3;<br />
GOODWIN, 1996). Die „Kryptonormativität“ der Szenarien<br />
bzw. Prognosen ist überdies auch deshalb fragwürdig,<br />
weil sie sich einem politischen Diskurs entzieht.<br />
Als eine Konsequenz der normativen Kraft von Verkehrsszenarien<br />
kann auch die kontinuierliche Überschätzung<br />
des Wachstums des Schienenverkehrs in den vergangen<br />
Jahrzehnten in den Prognosen für den B<strong>und</strong>esverkehrswegeplan<br />
(vgl. Abschn. 3.2.2) interpretiert werden. Die<br />
bahnoptimistischen Szenarien sollen die eigentlich politisch<br />
gesetzten Investitionsanteile für die Schiene objektivieren<br />
<strong>und</strong> legitimieren. Von der Kommission<br />
„Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ (2000, S. 24) wurde<br />
dieses Vorgehen als „politische Zielprognose“ kritisiert.<br />
Politische Ziele, die an sich legitim sind, werden dadurch<br />
auf scheinbar objektive Argumente gestützt. Darunter leidet<br />
nicht nur ihre Glaubwürdigkeit, sondern auch ihre<br />
Transparenz <strong>und</strong> Zugänglichkeit für eine öffentliche Diskussion.<br />
Vertikale Verflechtung <strong>und</strong> Fehlallokation<br />
399. Der B<strong>und</strong>esverkehrswegeplan umfasst die B<strong>und</strong>esfernstraßen<br />
einschließlich der B<strong>und</strong>esautobahnen, die<br />
B<strong>und</strong>eswasserstraßen sowie Schienenfernverbindungen.<br />
B<strong>und</strong>esfernstraßen sind in § 1 des B<strong>und</strong>esfernstraßengesetzes<br />
definiert als „öffentliche Straßen, die ein zusammenhängendes<br />
Verkehrsnetz bilden <strong>und</strong> einem weiträumigen<br />
Verkehr dienen oder zu dienen bestimmt sind.“<br />
Etliche in das Fernverkehrsnetz integrierte Straßen dienen<br />
indessen nur partiell dem überörtlichen <strong>und</strong> zu weiten<br />
Teilen auch dem örtlichen oder regionalen Verkehr. Dies<br />
betrifft insbesondere die Ortsumfahrungen <strong>und</strong> Durchfahrungen<br />
in Ballungsgebieten. Als B<strong>und</strong>esfernstraßen sollen<br />
mit dem B<strong>und</strong>esverkehrswegeplan gleichwohl auch<br />
über 300 Ortsumfahrungen finanziert werden (BMVBW,<br />
2003b, S. 1).<br />
Die Verflechtung zwischen B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ländern in der<br />
B<strong>und</strong>esverkehrswegeplanung ist gr<strong>und</strong>sätzlich problematisch,<br />
denn sie führt bei den Ländern zu wirtschaftlich<br />
<strong>und</strong> ökologisch kontraproduktiven „Mitnahme-Anreizen“<br />
<strong>und</strong> verhindert auf B<strong>und</strong>esebene eine hierarchische, integrierte<br />
Verkehrsnetzplanung. Sowohl bei der Bedarfserhebung<br />
für den BVWP als auch bei Straßenbau <strong>und</strong> -unterhalt<br />
(in Auftragsverwaltung) bestehen auf Seiten der<br />
206<br />
Maßnahmen in der Verkehrswege- <strong>und</strong> Raumplanung<br />
Länder erhebliche Anreize, überzogenen Bedarf anzumelden<br />
<strong>und</strong> verkehrstechnisch unnötige Investitionen zu<br />
fordern (B<strong>und</strong>esbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der<br />
Verwaltung, 2004), die auch unter <strong>Umwelt</strong>gesichtspunkten<br />
bedenklich sind. Problematisch ist vor allem die Methode<br />
der Bedarfserhebung. Wie bereits dargelegt, wird<br />
die überörtliche Planung des B<strong>und</strong>es wesentlich auf der<br />
Basis von Projekt- bzw. Bedarfsanmeldungen der Länder<br />
erstellt, nicht aber anhand eines integrierten Raum- <strong>und</strong><br />
Verkehrsentwicklungsprogramms des B<strong>und</strong>es. Dass dabei<br />
die B<strong>und</strong>esebene wesentlich die Finanzierung der Verkehrsprojekte<br />
trägt, führt dazu, dass die Länder ihre Anmeldungen<br />
keineswegs auf Strecken mit (B<strong>und</strong>es-)Fernstraßenfunktion<br />
beschränken, sondern auch regionale<br />
Strecken <strong>und</strong> Ortsumgehungen mit überwiegend regionalen<br />
Entlastungsfunktionen anmelden, um dafür B<strong>und</strong>esmittel<br />
zu erhalten (B<strong>und</strong>esbeauftragter für Wirtschaftlichkeit<br />
in der Verwaltung, 2004, Kap. 3.2). Nebenbei erzeugt<br />
diese Praxis ersichtlich einen erheblichen Anreiz, Projekte<br />
über den tatsächlichen Bedarf hinaus anzumelden.<br />
Nachdem auf diese Weise politische Erwartungen genährt<br />
wurden, muss das Auswahlverfahren des BVWP zwangsläufig<br />
die einmal geweckten Wünsche enttäuschen. Dieser<br />
Umstand bringt die Gefahr mit sich, dass im Auswahlverfahren<br />
erheblicher politischer Druck zugunsten einer<br />
großzügigen Handhabung der Bedarfsfeststellung sowie<br />
einer länderparitätischen Verteilung der verfügbaren Mittel<br />
ausgeübt wird.<br />
400. Besonders problematisch ist das im BVWP 2003<br />
angelegte Programm zum Bau von Ortsumfahrungen.<br />
Zweifelsohne besteht diesbezüglich ein erheblicher<br />
Handlungsbedarf insbesondere in den neuen B<strong>und</strong>esländern,<br />
um die Ortschaften vom Durchgangsverkehr zu entlasten.<br />
Realistischerweise fehlen der B<strong>und</strong>esebene aber<br />
die notwendigen Informationen, um die kommunalen<br />
Entlastungsbelange <strong>und</strong> die überregionalen Ziele in Einklang<br />
zu bringen. Eine Verkehrsentlastung der Kommunen<br />
(vom Durchgangs- sowie vom Quell- <strong>und</strong> Zielverkehr)<br />
erfolgt nicht notwendigerweise durch ein<br />
bestimmtes B<strong>und</strong>esstraßenprojekt, sondern durch ein<br />
Bündel von Maßnahmen. Durch die Steuerung <strong>und</strong> Mittelzuweisung<br />
von der B<strong>und</strong>esebene hingegen wird es<br />
wahrscheinlich, dass eine Optimierung vor Ort zugunsten<br />
einer nicht in jedem Falle sachgerechten Straßenbaulösung<br />
verhindert wird. Eine optimale Entlastungsstrategie<br />
erfordert auf der kommunalen Ebene neben den notwendigen<br />
Ressourcen die planerische Flexibilität, diese optimal<br />
einzusetzen. Das in Abschnitt 8.2.3 empfohlene Gemeindeverkehrsplanungsgesetz<br />
könnte die Kommunen<br />
besser in die Lage versetzen, flächendeckende <strong>und</strong> verkehrsträgerübergreifende<br />
Maßnahmenbündel zur Entlastung<br />
der Innenstädte planerisch zu entwickeln. Die derzeitige<br />
Vollfinanzierung vieler Ortsumgehungen durch<br />
die B<strong>und</strong>esebene bringt dagegen ein erhebliches Risiko<br />
mit sich, dass die Projektplanungen nicht primär am verkehrspolitischen<br />
Bedarf, sondern an eher kurzfristigen<br />
Sek<strong>und</strong>ärzielen wie etwa der kommunalen Wirtschaftsförderung<br />
oder Beschäftigungsstimulierung ausgerichtet<br />
werden. Anstatt durch das System der B<strong>und</strong>esbezuschussung<br />
zu fragwürdigen Investitionen <strong>und</strong> zum Teil auch zu