Umwelt und Straßenverkehr
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4.1.4 Segmentierung der Problembearbeitung<br />
im Verkehrssektor<br />
109. Ein wichtiges Charakteristikum der Verkehrspolitik<br />
ist schließlich die Segmentierung der Problembearbeitung<br />
nach Verkehrsträgern. So haben sich im Verkehrsbereich<br />
– wie oben bereits angedeutet – um die einzelnen<br />
Verkehrsträger herum jeweils unterschiedliche Akteursnetzwerke<br />
gebildet (LEHMBRUCH, 1992). Sichtbar wird<br />
dies in der Organisation der Verkehrsverwaltung in<br />
Deutschland. So ist der Verkehrsbereich des BMVBW in<br />
die Abteilungen „Straßenbau, <strong>Straßenverkehr</strong>“, „Eisenbahnen,<br />
Wasserstraßen“ <strong>und</strong> „Luft- <strong>und</strong> Raumfahrt,<br />
Schifffahrt“ untergliedert. Auch die nachgeordneten Behörden<br />
folgen diesem Organisationsprinzip. Für den Bereich<br />
des <strong>Straßenverkehr</strong>s liegen die Zuständigkeiten bei<br />
der B<strong>und</strong>esanstalt für Straßenwesen, dem B<strong>und</strong>esamt für<br />
Güterverkehr <strong>und</strong> dem Kraftfahrt-B<strong>und</strong>esamt, für den<br />
Schienenverkehr ist insbesondere das Eisenbahn-B<strong>und</strong>esamt<br />
zuständig <strong>und</strong> im Bereich des Flugverkehrs ist das<br />
Luftfahrt-B<strong>und</strong>esamt die wichtigste nachgeordnete Behörde.<br />
Auch in der Verkehrswegeplanung nimmt lediglich<br />
der BVWP eine verkehrsträgerübergreifende<br />
Betrachtung vor (s. Abschn. 4.1.3). Auf den weiteren<br />
Konkretisierungsstufen ist die Planung des Neu- <strong>und</strong><br />
Ausbaus der B<strong>und</strong>esverkehrswege hingegen verkehrsträgerspezifisch<br />
organisiert. Diese Segmentierung der Problembearbeitung<br />
hat Konsequenzen für die Erfolgsaussichten<br />
umweltpolitischer Steuerungsansätze: Auf der<br />
einen Seite können umweltpolitische Maßnahmen, die jeweils<br />
nur einen Verkehrsträger betreffen, durch diese<br />
Segmentierung erleichtert werden. Dies betrifft in erster<br />
Linie technische Maßnahmen an der Quelle, deren<br />
Kosten mindestens teilweise auf Konsumenten oder die<br />
Allgemeinheit abgewälzt werden können <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong><br />
der isolierten Bearbeitung innerhalb überschaubarer <strong>und</strong><br />
eingespielter Akteursnetzwerke politisch einfacher<br />
umgesetzt werden können. Die bisherigen Erfolge bei<br />
der Verringerung des Ausstoßes klassischer Luftschadstoffe<br />
durch Einführung des 3-Wege-Katalysators<br />
(Abschn. 7.1.1) <strong>und</strong> die Verringerung der spezifischen<br />
CO2-Emissionen durch die Entwicklung verbrauchsärmerer<br />
Motoren (Abschn. 7.1.2) veranschaulichen das große<br />
Potenzial technischer Maßnahmen. Die bevorstehende<br />
Einführung des Partikelfilters für Dieselmotoren zeigt,<br />
dass vorhandene technische Lösungen sich im Wettbewerb<br />
selbst gegen entschiedenen Widerstand zentraler<br />
Akteure – in diesem Fall der deutschen Automobilhersteller<br />
– durchsetzen können.<br />
Während sich inkrementelle, bestehende Technologiepfade<br />
beibehaltende technische Maßnahmen relativ gut<br />
durchsetzen lassen, sind Maßnahmen in der Verkehrslenkung<br />
<strong>und</strong> in geringerem Maße Maßnahmen in der Verkehrswegeplanung<br />
vergleichsweise schwierig durchzusetzen.<br />
In diesen Kernbereichen der umweltpolitischen<br />
Steuerung des Verkehrs geht es vorrangig um die technische<br />
<strong>und</strong> planerische Abstimmung der einzelnen Verkehrsträger<br />
aufeinander bzw. um die Verlagerung von<br />
Güter- <strong>und</strong> Personentransporten von der Straße auf die<br />
Schiene oder andere weniger umweltbelastende Verkehrsträger.<br />
Eine solche integrierte Steuerung wird durch die<br />
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Akteure <strong>und</strong> Rahmenbedingungen der Verkehrspolitik<br />
traditionell nach Verkehrsträgern segmentierte Problembearbeitung<br />
erschwert. Hauptgr<strong>und</strong> hierfür ist die Konkurrenz<br />
der verkehrsträgerbezogenen Netzwerke um<br />
knappe finanzielle Ressourcen. Zudem fühlen sich verkehrsträgerspezifische<br />
Ministerialabteilungen <strong>und</strong> Interessenverbände<br />
in erster Linie ihrem spezifischen Teilsektor<br />
verpflichtet (ALLMENDINGER, 2001, S. 86).<br />
Schließlich kann eine integrierte verkehrspolitische<br />
Steuerung nicht auf eingespielte Akteursnetzwerke zurückgreifen,<br />
sondern ist auf die Bildung neuer, verkehrsträgerübergreifender<br />
Netzwerke angewiesen.<br />
4.2 Kulturelle Aspekte der Verkehrsnachfrage<br />
4.2.1 Bedeutung kultureller Werte <strong>und</strong><br />
Leitbilder<br />
110. Kulturelle Faktoren sind zweifellos wesentliche<br />
<strong>und</strong> gleichzeitig politisch nur schwer beeinflussbare<br />
Randbedingungen für die (Nicht-)Akzeptanz verkehrspolitischer<br />
Maßnahmen. Unter Kultur wird hier ein miteinander<br />
verknüpftes Ensemble von Wertvorstellungen<br />
verstanden, die von Mitgliedern einer Gesellschaft überwiegend<br />
geteilt werden. Der in Kapitel 4.1 dargestellte<br />
Einfluss des Akteursnetzwerkes, dessen ökonomische<br />
<strong>und</strong> politische Interessen direkt mit dem motorisierten Individualverkehr<br />
(MIV) verb<strong>und</strong>en sind, verbindet sich<br />
mit in der Bevölkerung mehrheitlich verbreiteten Einstellungen,<br />
die dem Automobil <strong>und</strong> seiner Nutzung gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
bejahend gegenüberstehen, wobei vielfältige<br />
Wechselbeziehungen zwischen Akteursnetzwerk <strong>und</strong> Bevölkerung<br />
bestehen (bspw. Werbung für Automobile, Automobilmessen<br />
<strong>und</strong> dergleichen). Daher legitimieren <strong>und</strong><br />
stabilisieren sich ökonomische Interessen <strong>und</strong> kulturelle<br />
Einstellungen im Verkehrssektor gegenseitig. Weiterhin<br />
könnte der Umstand, dass sich partikulare Interessen <strong>und</strong><br />
eindeutig affirmative Einstellungen leichter aggregieren<br />
<strong>und</strong> politisch repräsentieren lassen (klassisch hierzu<br />
OLSON, 1968) als das diffus verteilte, inhaltlich ambivalente<br />
Unbehagen an der Entwicklung der Verkehrssituation,<br />
einen verkehrspolitischen „bias“ zugunsten des MIV<br />
nach sich ziehen.<br />
111. Es dürfte unstreitig sein, dass bei der Wahrnehmungsweise<br />
des Automobils <strong>und</strong> des MIV soziokulturelle<br />
Leitbilder („autogerechte Stadt“, „sportlicher Fahrer“,<br />
„flüssiger Verkehr“ etc.) <strong>und</strong> Statussymbole („Reiserennlimousine“)<br />
eine große Rolle spielen. Derartige Leitbilder,<br />
die positive Einstellungen gegenüber dem MIV vermitteln<br />
<strong>und</strong> festigen, sind soziale Tatsachen. Sie erfahren<br />
vielfältige Bestärkung durch die Massenmedien. Diese<br />
sozialen Tatsachen bergen für die Verkehrspolitik natürlich<br />
Risiken, da sich die Menge der Wähler <strong>und</strong> die der<br />
Autofahrer beträchtlich überlappen. Ökonomische <strong>und</strong><br />
soziale Macht einerseits, kulturelle Hegemonie andererseits<br />
lassen eine „Verkehrswende“ auf den ersten Blick<br />
politisch aussichtslos erscheinen. Daran konnte auch der<br />
Diskurs der so genannten „kritischen“ Verkehrswissenschaft<br />
bislang nichts ändern, der auf hohem Qualitätsniveau<br />
ein Eigenleben führt (statt vieler KNOFLACHER,