Umwelt und Straßenverkehr
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erreichen wird (BMVBW, 2004a). Deutlich weniger Beachtung<br />
finden behinderte Menschen, die einen nicht unerheblichen<br />
Anteil an der Bevölkerung haben <strong>und</strong> deren<br />
Bewegungsfreiheit nicht ausschließlich, aber auch vom<br />
<strong>Straßenverkehr</strong> eingeschränkt wird. So sind in Deutschland<br />
derzeit etwa 6,7 Millionen Menschen als schwerbehindert<br />
gemeldet (DVfR, 2003). Außerdem wird das gesamte<br />
soziale Geschehen in Ortschaften <strong>und</strong> Stadtteilen<br />
speziell in unmittelbarer Nähe zur Fahrbahn massiv durch<br />
den <strong>Straßenverkehr</strong> beeinflusst.<br />
Kinder <strong>und</strong> <strong>Straßenverkehr</strong><br />
32. Kinder haben bestimmte Gr<strong>und</strong>bedürfnisse, die nicht<br />
alleine vom häuslichen <strong>und</strong> familiären Umfeld abgedeckt<br />
werden. Dazu gehören das Bedürfnis nach Autonomie, sozialem<br />
Anschluss, Erleben der eigenen Wirksamkeit <strong>und</strong><br />
der Bewegungsdrang (ACHNITZ, 1997; BARTH, o. J.).<br />
Das Ausleben dieser Bedürfnisse ist eine wichtige Gr<strong>und</strong>lage<br />
für die Sozialisation von Kindern. Mit zunehmendem<br />
Alter wächst die Selbstständigkeit der Kinder <strong>und</strong> der Lebens-<br />
<strong>und</strong> Bewegungsraum wird weiter ausgedehnt. Eine<br />
kinderfre<strong>und</strong>lich gestaltete außerhäusliche <strong>Umwelt</strong> fördert<br />
die Entwicklung der Kinder. Sie bietet Optionen, die<br />
die Kinder nutzen können, um ihre Bedürfnisse auszuleben.<br />
Fehlen diese Optionen, wird die Entwicklung der<br />
Kinder begrenzt. Gerade in einer bestimmten Entwicklungsphase<br />
ist der so genannte Hausnahbereich für Kinder<br />
sehr wichtig, da in diesem Raum die ersten von der Familie<br />
unabhängigen Erfahrungen mit der <strong>Umwelt</strong> gemacht<br />
werden. Kinder, die in Städten oder verkehrsdichten<br />
Räumen leben, werden dabei oftmals in ihrer Bewegungsfreiheit<br />
stark eingeschränkt (s. a. KRAUSE <strong>und</strong><br />
SCHÖMANN, 1999). Entweder fehlt es an sicheren Aufenthaltsräumen<br />
oder diese können nicht auf sicheren Wegen<br />
erreicht werden. Die Eltern reagieren auf unterschiedliche<br />
Weise auf die Einschränkungen <strong>und</strong> Bedrohungen<br />
ihrer Kinder durch den <strong>Straßenverkehr</strong>. Eine hohe Verkehrsbelastung<br />
fördert Umzugsbestrebungen (FLADE,<br />
2003). Dies führt häufig – neben anderen Faktoren der<br />
Wohnumfeldqualität – zum Umzug von jungen Familien<br />
mit Kindern aus den Stadtzentren an den Stadtrand, mit<br />
den bekannten negativen Auswirkungen hinsichtlich der<br />
Flächeninanspruchnahme (s. a. Tz. 646 f.), da dort unter<br />
anderem ein weniger belastetes <strong>und</strong> ungefährlicheres Umfeld<br />
für ihre Kinder vorhanden ist. Als Konsequenz aus<br />
diesen Bestrebungen zeigt sich dann auch ein sehr enger<br />
Zusammenhang zwischen der Sozialschicht <strong>und</strong> dem<br />
Wohnumfeld. Besser gestellte Familien können es sich<br />
eher leisten, in die unbelasteteren Wohngebiete zum Beispiel<br />
im Stadtrandgebiet zu ziehen. Familien aus unteren<br />
Gesellschaftsschichten wohnen dagegen häufiger in<br />
Wohngebieten im Innenstadtbereich mit viel Verkehr, wenig<br />
Grünflächen <strong>und</strong> Spielplätzen. Das Aufwachsen im<br />
verkehrsbelasteten Raum wird als ein Gr<strong>und</strong> gewertet, der<br />
dafür verantwortlich ist, dass mehr Kinder aus unteren als<br />
aus höheren sozialen Schichten in Verkehrsunfälle verwickelt<br />
werden (LIMBOURG et al., 2000).<br />
Die häufigste Reaktion der Eltern auf die wahrgenommene<br />
Verkehrsunsicherheit ist aber die Einschränkung<br />
der Bewegungsfreiheit der Kinder. Kinder dürfen häufig<br />
nur noch in Begleitung das Haus verlassen. So zeigt es<br />
Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Lebensqualität<br />
sich, dass in den letzten zwanzig Jahren die Zahl der ohne<br />
die Begleitung der Eltern zurückgelegten Wege von Kindern<br />
unter zehn Jahren deutlich zurückgegangen ist<br />
(ZIMMERMANN, 1997). Aus Angst vor den Risiken des<br />
<strong>Straßenverkehr</strong>s bringen die Eltern ihre Kinder zunehmend<br />
selbst zur Schule oder auch zu Freizeit- <strong>und</strong> Sportveranstaltungen<br />
(RACIOPPI et al., 2004). Es ist ein<br />
Trend zur generellen Begleitung der Kinder festzustellen<br />
(KOHLER, 2002). In gleicher Weise hat die Aufenthaltszeit<br />
in den Wohnräumen zugenommen. Man spricht auch<br />
von einer „verhäuslichten Kindheit“ (LIMBOURG et al.,<br />
2000; ZINNECKER, 1979; 1990). Der Nachteil dieser<br />
Entwicklung sind geringere Sozialkontakte mit anderen<br />
Kindern, eher passives Erleben der <strong>Umwelt</strong> mittels Fernsehen<br />
<strong>und</strong> Computer, fehlende Selbstständigkeit <strong>und</strong> steigender<br />
Bewegungsmangel. Kinder haben aus diesen<br />
Gründen zunehmend schlechtere Bedingungen, um ihre<br />
sensorischen, motorischen, kognitiven <strong>und</strong> sozialen Fähigkeiten<br />
altersgemäß zu entwickeln (s. a. HÜTTENMO-<br />
SER, 1995). Der Bewegungsmangel ist zudem ein Ursache<br />
für das häufigere Auftreten von Übergewicht,<br />
motorischen Defiziten, Stoffwechselkrankheiten, Haltungsschäden,<br />
stressbedingten Erkrankungen sowie für<br />
eine erhebliche Einschränkung der ges<strong>und</strong>heitsbezogenen<br />
Lebensqualität (BÖS, 2002; APUG, 2004; SRU, 2002,<br />
Tz. 595). Die beschriebenen ges<strong>und</strong>heitlichen Beeinträchtigungen<br />
haben in den letzten Jahren gerade bei Kindern<br />
erheblich zugenommen (APUG, 2004).<br />
Studien belegen, dass die so genannte Verhäuslichung<br />
nicht generell für alle Kinder in der gleichen Intensität zutrifft.<br />
Vielmehr wird die beschriebene Entwicklung in hohem<br />
Maße von der Beschaffenheit des unmittelbaren<br />
Wohnumfeldes bestimmt (BLINKERT, 1993; 1997). In<br />
einem günstigen Wohnumfeld mit hoher Aktionsraumqualität<br />
halten sich Kinder im Durchschnitt länger alleine<br />
auf als in einem stark durch den <strong>Straßenverkehr</strong> eingeschränkten<br />
Umfeld. Im letzteren Fall wächst dann<br />
auch der Bedarf an organisierter, nicht selbstbestimmter<br />
Freizeitgestaltung. Auch der Vergleich von Kindern, die<br />
auf dem Lande aufwachsen, <strong>und</strong> Stadtkindern zeigt bereits<br />
deutliche Unterschiede. Bei Großstadtkindern werden<br />
häufiger psychomotorische Defizite festgestellt<br />
(LIMBOURG, 2000; BRANDT et al., 1997).<br />
Mobilität älterer Menschen<br />
33. Die Gruppe der Senioren ist ähnlich wie die der<br />
Kinder keine homogene Gruppe, sondern unterscheidet<br />
sich sehr in den Lebensstilen, Erwartungen <strong>und</strong> Lebenslagen.<br />
Seit den 1980er-Jahren hat sich das Verkehrsverhalten<br />
dieser Gruppe verändert. Insbesondere die Gruppe der<br />
50- bis 65-Jährigen nimmt in deutlich höherem Maße aktiv<br />
am Verkehrsgeschehen teil <strong>und</strong> greift dafür zunehmend<br />
auf den eigenen PKW zurück (KROJ, 2002). Die<br />
aktive Teilnahme am motorisierten <strong>Straßenverkehr</strong> hilft<br />
oftmals dabei, alltägliche Dinge wie zum Beispiel Einkäufe<br />
einfacher verrichten zu können. Die Möglichkeit<br />
ein Privatauto zu nutzen erhöht nachweislich das Aktivitätsspektrum<br />
älterer Menschen (MOLLENKOPF <strong>und</strong><br />
FLASCHENTRÄGER, 2001). Bei den über 75-Jährigen<br />
zeigt sich dagegen kein quantitativer Unterschied in der<br />
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