S. Schönherr (Beitrag): Konversion der Streitkräfte - DSS
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selbstredend hingenommen werden. Vielmehr wurde in den Lehrveranstaltungen<br />
immer wie<strong>der</strong> betont, dass die Führungsrolle <strong>der</strong> Partei nur in dem<br />
Maße verwirklicht werden kann, wie die Parteiorganisationen und jedes ihrer<br />
Mitglie<strong>der</strong> durch ihre eigene aktive gesellschaftliche Arbeit und ihre vorbildlichen<br />
Leistungen im militärischen Dienst auftreten. Aber nun wurde alles an<strong>der</strong>s.<br />
Auf Konsequenzen, die <strong>der</strong> Lehrstuhl Führung <strong>der</strong> politischen Arbeit in<br />
diesem Prozess gezogen hat, soll in diesem <strong>Beitrag</strong> eingegangen werden.<br />
Erstens: Der Lehrgegenstand Führung <strong>der</strong> politischen Arbeit in <strong>der</strong> NVA<br />
kam in dem Maße in Bedrängnis, wie sich in den 1980er Jahren die Sinnkrise<br />
des Soldatseins entwickelte. Der Hauptgrund war, dass die Partei- und Armeeführung<br />
trotz offenkundiger Nichtführbarkeit eines Kernwaffenkrieges<br />
wie auch eines Krieges mit herkömmlichen Mitteln in Europa keine Korrekturen<br />
in <strong>der</strong> Militärpolitik und Landesverteidigung einleitete. Trotz Tauwetter<br />
in den politischen Beziehungen zwischen den Weltmächten und spürbarer<br />
Entspannung zwischen den Militärblöcken wurden die hohen, vielfach über<br />
die Kräfte gehenden Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> ständigen Gefechtsbereitschaft nicht<br />
den neuen Bedingungen angepasst. Demgegenüber kam es zu immer umfangreicheren<br />
Einsätzen von Armeeeinheiten in <strong>der</strong> Produktion, die den Wehrdienst<br />
selbst als zweitrangig erscheinen ließen. So gab es wachsende Schwierigkeiten,<br />
die politische Arbeit zur Motivierung und zur Sicherung <strong>der</strong> militärischen<br />
Leistungssteigerung zu realisieren. Im allgemeinen Stimmungsbild<br />
schwand das Vertrauen <strong>der</strong> Armeeangehörigen in die politische und militärische<br />
Führung des Landes und <strong>der</strong> Armee, bis hinein in das Offizierskorps.<br />
Wie die Ergebnisse soziologischer Befragungen bei den Landstreitkräften<br />
zeigten, sank von 1986 bis 1988 die Zahl <strong>der</strong>jenigen Soldaten, die meinten, es<br />
lohne sich für den Sozialismus zu arbeiten und zu leben, von 83 Prozent auf<br />
33 Prozent, 1 Diese Tendenz dürfte sich 1989 fortgesetzt haben. Diese realen<br />
gesellschaftlichen Probleme wurden vom Lehrstuhl zwar nicht verkannt, aber<br />
in ihrer Tragweite nicht voll erfasst und lange Zeit kaum reflektiert. So wurde<br />
im August 1989 u.a. die Vorlesung über das gesetzmäßige Anwachsen <strong>der</strong><br />
führenden Rolle <strong>der</strong> SED in <strong>der</strong> NVA und den Grenztruppen <strong>der</strong> DDR<br />
überarbeitet. Darin wurde zwar auf aktuelle Bedingungen dieser Gesetzmäßigkeit<br />
eingegangen, im Wesentlichen blieb aber alles wie gehabt. Noch Anfang<br />
Oktober herrschte die Meinung vor, dass die Unruhen und Demonstra-<br />
1 Siehe Th. Hoffmann, Die Militärreform <strong>der</strong> DDR, in: Rührt euch! Zur Geschichte <strong>der</strong> NVA,<br />
Berlin 1998, S. 550.