S. Schönherr (Beitrag): Konversion der Streitkräfte - DSS
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schützen“. 35 In Gestalt neuformierter Bürgerbewegungen und revolutionärer<br />
Erhebungen großer Teile des Volkes sah man sich vermeintlich von Feinden<br />
umgeben, von denen man außerdem annahm, sie seien aus <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
fremdgesteuert.<br />
Doch Hans Modrow, <strong>der</strong> 1. Sekretär <strong>der</strong> SED-Bezirksleitung, und Wolfgang<br />
Berghofer, <strong>der</strong> Oberbürgermeister <strong>der</strong> Stadt Dresden, sahen das an<strong>der</strong>s. In<br />
einem schwierigen Lernprozess gelangten sie zu <strong>der</strong> Einsicht, dass die oppositionelle<br />
Bürgerbewegung und die unzufriedenen Teile des Volkes nur durch<br />
Dialog in friedliche Bahnen gelenkt werden konnten. Davon mussten sich<br />
bald auch Offiziere aus dem Lehrkörper <strong>der</strong> Akademie überzeugen, die man –<br />
natürlich in Zivil – am 16. Oktober zu einer von <strong>der</strong> Protestbewegung angesagten<br />
Kundgebung schickte, um mäßigenden Einfluss auszuüben. Wolfgang<br />
Scheler erinnert sich: „Was sich uns jedoch darbot, war das unmittelbare Erleben<br />
engagierter Bürger, die mit Vernunft und bewusster Disziplin, mit geistiger<br />
Ausstrahlung und dem Gefühl, in solidarischer Übereinkunft Bürger-<br />
und Menschenrechte zu vertreten, zuhörten und ihren gemeinschaftlichen<br />
Willen äußerten.“ 36 Nunmehr kam es an <strong>der</strong> Akademie zu offenen Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />
über den Umgang mit <strong>der</strong> Bürgerbewegung, die sich in Dresden<br />
als Gruppe <strong>der</strong> 20 formiert hatte.<br />
Entscheidend für die weitere Entwicklung war eine Son<strong>der</strong>tagung des Wissenschaftlichen<br />
Rates <strong>der</strong> Militärakademie am 4. November 1989, die eine<br />
Standpunktbestimmung beschloss, auf <strong>der</strong>en Inhalt die reformwilligen Kräfte<br />
des Rates, allen voran Rolf Lehmann und Wolfgang Scheler, maßgeblichen<br />
Einfluss ausübten. 37 Man stellte fest, das in <strong>der</strong> DDR praktizierte Modell des<br />
Sozialismus ist gescheitert. Deshalb sei eine umfassende Reform <strong>der</strong> gesamten<br />
gesellschaftlichen Ordnung, also auch <strong>der</strong> Landesverteidigung, notwendig.<br />
Die NVA müsse eine Armee des Volkes und seines Staates sein, nicht die einer<br />
Partei. Die Ratstagung unterbreitete konkrete Vorschläge für eine demokratische<br />
Militärreform, die an <strong>der</strong> Akademie selbst Lehrfreiheit für den<br />
Hochschullehrer und Studienfreiheit für die Offiziershörer garantieren müsse.<br />
Die wissenschaftlichen Einrichtungen dürften nicht wie Truppenkörper geführt<br />
werden, da sie sonst ihr wissenschaftliches Leben nicht entfalten könn-<br />
35<br />
Zeittafel zur Militärgeschichte <strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik. 1949 bis 1988,<br />
Berlin 1989, S. 565.<br />
36<br />
W. Scheler, Bewusstseinswandel und politischer Umbruch. Persönliche Erinnerungen an das<br />
letzte Jahr an <strong>der</strong> Militärakademie, Unveröffentlichtes Manuskript, S. 6.<br />
37<br />
Siehe <strong>der</strong>selbe, Diskussionsbeitrag, in: <strong>DSS</strong>-Arbeitspapiere, Heft 50, Dresden 2001,<br />
S. 141-144, 145-149.<br />
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