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WWW und Mathematik — Lehren und Lernen im Internet

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Thomas Gawlick<br />

Kreisbogen liegt, nicht als Gleichung formuliert<br />

werden kann.<br />

• Ebenso wenig lässt sich der bekannte<br />

(fehlerhafte) Beweis, dass alle Dreiecke<br />

gleichschenklig sind, in dieser Sprache<br />

untersuchen, da sie keinen Ausdruck dafür<br />

hat, ob ein Punkt inner- oder außerhalb<br />

eines Dreiecks liegt.<br />

In der Arbeit (Gawlick 2002) wurden weitere<br />

Aberrationen der "Cinderella"-Geometrie gezeigt.<br />

Ein lehrreiches Beispiel wird auch in<br />

Teil II. genauer analysiert.<br />

Darüber hinaus weiß man heute, dass es<br />

aber auch Sätze gibt, die <strong>im</strong> Komplexen<br />

falsch werden, ohne dass sie auf solchen<br />

Lagebezeichnungen beruhen, z.B. der folgende<br />

Satz (MacLane):<br />

Seien A0, ..., A7 Punkte mit Ai+3∈AiAi+1 für<br />

i=0,…,7 (alle Indizes mod 8). Dann sind<br />

A0, ..., A7 kollinear.<br />

Dies merkt man allerdings in der Regel nicht,<br />

da eine solche Konfiguration sich mit "Cinderella"<br />

wohl nur <strong>im</strong> Reellen erstellen lässt (sollte<br />

dem Leser dennoch ein Trick zur Realisierung<br />

einer nichtkollinearen komplexen Mac-<br />

Lane-Konfiguration in "Cinderella" einfallen,<br />

möge er dies dem Vf. mitteilen!). Wer sich<br />

auf die (ohnehin nur probabilistisch) von<br />

"Cinderella" verifizierte Zugfestigkeit dieser<br />

Aussage verlässt, erliegt also einem kategorialen<br />

Irrtum!<br />

Auf diesem Hintergr<strong>und</strong> stellt sich die Frage,<br />

ob die von Klein propagierte Auffassung der<br />

Elementargeometrie als komplex-analytische<br />

Geometrie nicht doch zu kurz greift. Und ein<br />

historischer Rückblick zeigt, dass diese Kalkülisierung<br />

des Prinzips auch keineswegs so<br />

zwangsläufig ist, wie Klein es nahe legt: Eine<br />

Theorie <strong>im</strong>aginärer (Schnitt-) Punkte, die für<br />

die Dynamische Geometrie natürlich benötigt<br />

wird, lässt sich ja nämlich auch rein synthetisch<br />

betreiben, wie von Staudt (1856) gezeigt<br />

hat. Aber auf diese Weise vermeidet<br />

man natürlich ebenso wenig das in Kap. I.1<br />

geschilderte Dilemma. Hier offenbart sich,<br />

dass die didaktisch scheinbar so nutzbringende<br />

Konkretisierung vorgestellter Veränderungen<br />

durch reale Bilder in gewissem Sinne<br />

den Teufel mit dem Beelzebub austreibt, weil<br />

die Fülle der mit ihr erzeugten Bilder so recht<br />

auf keinen theoretischen Begriff mehr zu<br />

bringen ist. Nahe gelegt wird diese Sicht der<br />

Dinge u.a. von den prophetischen Worten eines<br />

historischen Protagonisten des Ponceletschen<br />

Kontinuitätsprinzips:<br />

"Die alte Geometrie strotzt von Figuren.<br />

Das Raisonnement darin ist einfach. ...<br />

Man hat aber die Unbequemlichkeit dieser<br />

102<br />

Verfahrungsart erfahren durch die<br />

Schwierigkeit der Construction gewisser<br />

Figuren <strong>und</strong> durch die Complication, welche<br />

das Verständnis mühsam <strong>und</strong> beschwerlich<br />

macht. ... Man muss sich hiernach<br />

fragen, ob es nicht auch in der reinen<br />

<strong>und</strong> speculativen Geometrie eine Art<br />

des Raisonnements gäbe, wobei nicht<br />

beständig Figuren nöthig wären, deren<br />

wirkliche Unbequemlichkeit, selbst wenn<br />

die Konstruktion leicht ist, doch <strong>im</strong>mer<br />

darin besteht, den Geist zu ermüden <strong>und</strong><br />

die Gedanken zu hemmen." (Chasles<br />

1839)<br />

Selbst wenn eine DGS für sich in Anspruch<br />

nehmen könnte, das Ponceletsche Kontinuitätsprinzip<br />

getreuer als andere zu realisieren<br />

<strong>—</strong> gemäß einer definitiven Lesart, die freilich<br />

<strong>im</strong>mer noch zu ermitteln bliebe! <strong>—</strong>, wäre damit<br />

noch keineswegs der Intention dieses<br />

Prinzips entsprochen, das offenbar doch ersonnen<br />

wurde, um sich von der Vielfältigkeit<br />

konkreter Figuren nicht den Blick verstellen<br />

zu lassen.<br />

Es ist in diesem Zusammenhang sehr bemerkenswert,<br />

dass sowohl Leibniz als auch<br />

Poncelet sich zwar ausführlichst über die philosophische<br />

Begründung des Kontinuitätsprinzips<br />

äußern, die Anwendung auf konkrete<br />

Situationen aber stets nur knapp <strong>und</strong> vage<br />

beschreiben. Insbesondere verlieren beide<br />

nach Kenntnis des Vf. kein einziges Wort<br />

darauf, die Schwierigkeit in Kap. I.1 (oder<br />

ähnlich s<strong>im</strong>plen Situationen) auch nur anzudeuten,<br />

geschweige denn aufzulösen. Dennoch<br />

wäre sie sicherlich diesen Geistesgrößen<br />

(aber auch ihren Nachfolgern) nicht entgangen;<br />

<strong>—</strong> wenn sie sich denn einer solch<br />

konkreten Betrachtung figürlicher Veränderung<br />

überhaupt unterzogen hätten. Hierfür<br />

fehlte ihnen aber doch wohl weniger das<br />

rechte Werkzeug als vielmehr das Bedürfnis!<br />

Bei Leibniz gibt es i.W. überhaupt nur ein<br />

geometrisches Beispiel: die bewegte Variation<br />

eines Kegelschnitts. Er kommt dabei zur<br />

Herleitung von Tangenteneigenschaften<br />

auch auf das Verhalten von Schnittpunkten<br />

zu sprechen: "Nun kann die den Kreis<br />

schneidende Gerade so bewegt werden,<br />

dass sie mehr <strong>und</strong> mehr aus diesem heraustritt<br />

<strong>und</strong> sich die Schnittpunkte mehr <strong>und</strong><br />

mehr einander nähern, bis sie schließlich<br />

koinzidieren, in welchem Fall die Gerade den<br />

Kreis verlässt <strong>und</strong> zur Tangente wird" (Leibniz<br />

1687 & 1996, 192f). Dieses Verhalten<br />

wird auf Kegelschnitte übertragen: "Wenn<br />

deshalb die Gerade den Kreis berührt, wird<br />

auch die Projektion der Geraden den zugehörigen<br />

Kegelschnitt tangieren. Auf diese

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