WWW und Mathematik — Lehren und Lernen im Internet
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T<strong>im</strong>o Leuders<br />
1992) will ich nur kurz einige gr<strong>und</strong>legende<br />
Aspekte anreißen: Der Mensch lässt sich<br />
auffassen als ein autopoietisches, d.h. strukturell<br />
in sich geschlossenes System (Maturana<br />
& Varela). Er konstruiert seine individuelle<br />
Wirklichkeit in einem aktiven Prozess in einer<br />
strukturellen Kopplung mit seiner Umwelt,<br />
insbesondere auch seiner sozialen Umwelt<br />
(Watzlawick). Dabei werden nicht Informationen<br />
einer äußeren Welt aufgenommen sondern<br />
durch Wahrnehmungen, die Perturbationen<br />
des Systems darstellen, Anpassungsprozesse<br />
ausgelöst (Piaget). Auch Wahrnehmung<br />
ist Konstruktion <strong>und</strong> nicht etwa<br />
Repräsentation objektiv vorliegender Realität.<br />
Wahrnehmung ist durch die interne<br />
Struktur des Individuums best<strong>im</strong>mt <strong>und</strong> insofern<br />
unbelehrbar. Die Wahrheit von Wirklichkeitskonstruktionen<br />
liegt allein in ihrer Viabilität,<br />
d.h. ihrem (physischen <strong>und</strong> kognitiven)<br />
überlebenssichernden Nutzen. Der Mensch<br />
muss hierbei als eine komplexe, nicht-triviale<br />
Maschine gesehen <strong>und</strong> auch so behandelt<br />
werden (Förster). Dieses konstruktivistische<br />
Menschenbild führt konsequent zum Postulat<br />
der Toleranz gegenüber anderen Wirklichkeiten<br />
sowie zur Übernahme der Verantwortung<br />
des Subjektes für die eigene Wirklichkeit<br />
(von Glasersfeld).<br />
Die <strong>Mathematik</strong> als Wissenschaft tut sich<br />
schwer mit der Epistemologie, die mit einer<br />
konstruktivistischen Sichtweise verb<strong>und</strong>en<br />
ist. Die in der Praxis augenscheinliche Objektivität<br />
mathematischer Wahrheiten ist für das<br />
<strong>Mathematik</strong> treibende Subjekt mit dem Bild<br />
mathematischer Erkenntnis als sozialem<br />
Konstrukt (Lakatos) nur schwer zu vereinbaren.<br />
Die Schulmathematik sollte sich in dieser<br />
Wahrnehmung hier um einiges leichter<br />
tun, insbesondere mit Blick auf die alltäglichen<br />
Erfahrungen mit der individuellen Wissenskonstruktion<br />
<strong>im</strong> Klassenz<strong>im</strong>mer ("Auf<br />
was die Kinder so alles kommen ...").<br />
(2) Konstruktivistische Auffassung(en)<br />
vom <strong>Lernen</strong><br />
Einige zentrale Konsequenzen für eine<br />
Sichtweise vom <strong>Lernen</strong>, die mit einem solchen<br />
konstruktivistischen Menschenbild konform<br />
gehen, sollen <strong>im</strong> Folgenden angeführt<br />
werden. Dabei kommen an dieser Stelle vornehmlich<br />
Aspekte eines "gemäßigten, pädagogischen<br />
Konstruktivismus" zur Sprache.<br />
• <strong>Lernen</strong> ist ein aktiver Prozess der Sinnkonstruktion,<br />
d.h. Wissen kann nicht vermittelt<br />
werden, es muss unter aktiver Anstrengung<br />
vom Individuum geschaffen<br />
<strong>und</strong> erprobt werden.<br />
12<br />
• <strong>Lernen</strong> ist situiert, d.h. der Kontext des<br />
Wissenserwerbs wird mitgelernt, insbesondere<br />
bedeutet dies:<br />
o <strong>Lernen</strong> ist ein Prozess der sozialen<br />
Aushandlung.<br />
o <strong>Lernen</strong> findet in komplexen, ganzheitlichen<br />
Kontexten statt.<br />
• <strong>Lernen</strong> erfolgt individuell <strong>und</strong> auf eigenen<br />
Wegen, d.h. wesentlich selbstgesteuert<br />
<strong>und</strong> nur kaum von außen kontrollierbar.<br />
• <strong>Lernen</strong> hängt wesentlich vom Vorwissen<br />
<strong>und</strong> den Vorerfahrungen des Individuums<br />
ab.<br />
Auf eine detaillierte kritische Reflexion <strong>und</strong><br />
argumentative Begründung dieser didaktischen<br />
Kategorien aus den konstruktivistischen<br />
Gr<strong>und</strong>vorstellungen muss an dieser<br />
Stelle verzichtet werden. Für eine Übersicht<br />
aus pädagogischer Perspektive vgl. Gerstenmeier<br />
& Mandl (1995), Meixner (1997),<br />
Lindemann (1999), Reich (1998), Werning<br />
(1998), <strong>und</strong> aus epistemologischer <strong>und</strong> mathematikdidaktischer<br />
Perspektive Wildt<br />
(1998), Leuders (2003, 2001). Es sei noch<br />
einmal angemerkt, dass es sich hier um keine<br />
"exklusive Theorie" handelt. Viele wohlbekannte<br />
(mathematik-) didaktische Konzepte,<br />
wie etwa die des entdeckenden <strong>Lernen</strong>s,<br />
des ganzheitliches <strong>Lernen</strong>s, des problemlösenden<br />
<strong>Lernen</strong>s, der offenen Aufgaben usw.<br />
können hier verankert werden.<br />
(3) Gestaltungsaspekte für konstruktivistischeLernumgebungen<br />
Im Rahmen der konstruktivistischen Sichtweise<br />
vom <strong>Lernen</strong> (ob sie nun aus einem radikal-konstruktivistischen<br />
Denkansatz oder<br />
einer reformpädagogischen Haltung entspringt)<br />
ergeben sich einige Forderungen an<br />
die Gestaltung von Lernsituationen. Die folgende<br />
Übersicht möchte einen (nicht abschließenden)<br />
Katalog solcher Forderungen<br />
synoptisch darstellen sowie explizieren <strong>und</strong><br />
dabei besonders die Perspektive des <strong>Mathematik</strong>unterrichts<br />
herausarbeiten, insbesondere<br />
durch Aufzeigen der begrifflichen<br />
Bezüge zwischen typischen konstruktivistischen<br />
Postulaten <strong>und</strong> geläufigen mathematikdidaktischen<br />
Kategorien.<br />
(a) Situiertes <strong>Lernen</strong> in authentischen<br />
Kontexten<br />
Die Kritik der empirischen Psychologie, traditioneller<br />
Schulunterricht vermittle überwiegend<br />
kontextfreies Wissen, das als so ge-