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WWW und Mathematik — Lehren und Lernen im Internet

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A<br />

F<br />

Abb. 4<br />

1. scheinen (V1) <strong>und</strong> (V2) doch nur oberflächlich<br />

ähnliche Situationen <strong>und</strong> Verhaltensweisen<br />

darzustellen, dem Sinne nach<br />

aber ganz verschieden zu sein,<br />

2. wird man (V1) <strong>und</strong> (V2) zunächst ganz unterschiedlich<br />

werten: während das abweichende<br />

Verhalten von "Euklid" in (V1)<br />

Ausdruck eines mathematischen Mangels<br />

(Unstetigkeit) zu sein scheint, ist man<br />

wohl geneigt, die mangelnde Erwartungskonformität<br />

von "Cinderella" in (V2) eher<br />

als eine harmlose Kuriosiät zu betrachten.<br />

Beide Ansichten erweisen sich jedoch bei<br />

näherer Betrachtung als falsch:<br />

1. (V1) <strong>und</strong> (V2) hängen dadurch zusammen,<br />

dass "Cinderella" Situationen vom Typ<br />

(V1) behandelt, indem es sie <strong>—</strong> <strong>und</strong> nicht<br />

nur sie! <strong>—</strong> in Situationen des Typs (V2)<br />

verwandelt.<br />

2. Es wird sich sowohl bei (V1) als auch bei<br />

(V2) zeigen, dass die Bewertung, was tatsächlich<br />

abweichend sein soll <strong>und</strong> wie<br />

schwer es wiegt, aus guten Gründen anders<br />

ausfallen kann.<br />

Der Zusammenhang zwischen beiden Sondersituationen<br />

wird anhand einer weiteren offenbar:<br />

(V3) Erhöht man den Abstand zwischen E<br />

<strong>und</strong> A auf 2r, fallen Fo <strong>und</strong> Fu zusammen.<br />

Verringert man anschließenden den Abstand<br />

wieder, gibt es aus der Anschauung der Situation<br />

heraus offenbar keinerlei sinnvolle<br />

Vorerwartung an das Verhalten von F: Fo <strong>und</strong><br />

Fu sind a priori gleichberechtigte Kandidaten<br />

für die Fortsetzung von F! Wenn man denn<br />

überhaupt eine generelle Regel formulieren<br />

will, nach der DGS eigenständig in solchen<br />

Situationen die Entscheidung trifft, bedarf es<br />

dafür einer gr<strong>und</strong>sätzlich anders gearteten<br />

Richtschnur, um unserer geometrischen Anschauung<br />

hierfür die Richtung zu weisen.<br />

E<br />

Konstruktion <strong>und</strong> Kontinuität in der Dynamischen Geometrie<br />

Bedingt vergleichbar ist die Geschichte des<br />

Parallelenaxioms: bemühte man sich schon<br />

seit Euklid um einen Beweis <strong>und</strong> erwog dabei<br />

durchaus auch seine Verneinung, erwuchs<br />

doch erst aus dem Studium alternativer Modelle<br />

der Geometrie eine Leitlinie, die es ermöglichte,<br />

mit den vormals als bloße Absurditäten<br />

erscheinenden Aussagen der Nichteuklidischen<br />

Geometrie erstmals eine wirkliche<br />

Anschauung zu verbinden (etwa für sich<br />

schneidende Parallelen) <strong>und</strong> auf dieser<br />

Gr<strong>und</strong>lage tragfähige Alternativen zum Parallelenaxiom<br />

zu formulieren. Zugleich wurde<br />

auch klar, dass es für die <strong>Mathematik</strong> nicht<br />

darum gehen kann, ein für alle Mal ein solches<br />

Axiom als absolute Wahrheit zu setzen,<br />

sondern dass situativ Maßregeln zu entwickeln<br />

sind, welche Axiome für best<strong>im</strong>mte<br />

Zwecke geeignet ist, die jeweilige Situation<br />

zu modellieren. (Bis zu welchem Maßstab<br />

darf ein Kartograph die Erdkrümmung ignorieren<br />

<strong>und</strong> die Vermessungspunkte einer<br />

Landschaft in einem euklidischen Modell<br />

(Landkarte!) repräsentieren?)<br />

Auch in der Dynamischen Geometrie erwächst<br />

das propagierte Stetigkeitsprinzip aus<br />

einer Modellierung: Kortenkamp & Richter-<br />

Gebert (2001) postulieren, dass ihre funktionentheoretische<br />

Auffassung des Ponceletschen<br />

Kontinuitätsprinzips sowohl eine solche<br />

konzeptionelle Ausdeutung des Zugmodus<br />

liefert als auch zugleich eine Hintergr<strong>und</strong>theorie<br />

<strong>und</strong> gegenüber rein geometrischen<br />

Zugängen anderer DGS stets zu höherer<br />

mathematischer Konsistenz führe, was<br />

auch didaktisch vorteilhaft sei. Wie jedoch<br />

die Beispiele in (Gawlick 2002) zeigen, bewirkt<br />

ihr Ansatz auch diverse Aberrationen<br />

der "Cinderella"-Geometrie von der (Schul-)<br />

Geometrie, die geeignet sind, den Lernprozess<br />

zu beeinträchtigen (vgl. Kap. I.3).<br />

Aber auch schon das obige Beispiel gibt Anlass,<br />

die Zugstrategie von "Cinderella" zu<br />

überdenken: Da Situationen vom Typ (V3)<br />

sich rein geometrisch nicht auflösen lassen,<br />

müssen sie vermieden werden. In "Cinderella"<br />

wird dazu jede Zugbewegung so abgeändert,<br />

dass Situationen des Typs (V2) entstehen,<br />

die sich in der funktionentheoretischen<br />

Modellierung behandeln lassen. Insofern<br />

hängt alles an der St<strong>im</strong>migkeit dieses "Prinzips<br />

der ständigen Verformung": Denn<br />

man wird solch eine nichttriviale Modifikation<br />

des Bewegungsvorganges doch nur dann als<br />

Richtschnur für sein Ergebnis akzeptieren,<br />

wenn sie in einfach nachvollziehbaren Spezialfällen<br />

Ergebnisse liefert, die mit der eigenen<br />

Anschauung übereinst<strong>im</strong>men.<br />

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