WWW und Mathematik — Lehren und Lernen im Internet
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Thomas Gawlick<br />
braischen Orts ist: man erhält nur den Teil<br />
der Kurve, der sich <strong>im</strong> Innern des Kreises befindet.<br />
Dies widerspricht der gewohnten Auffassung<br />
der Cartesischen Korrespondenz,<br />
wonach jeder geometrisch erzeugte Ort sich<br />
in Koordinaten als Nullstellenmenge einer<br />
geeigneten, zumeist algebraischen Gleichung<br />
beschreiben lässt.<br />
Man ist zunächst versucht zu folgern, dass<br />
das kontinuierliche Verhalten von "Cinderella"<br />
hier ein didaktischer Vorteil ist, da es den<br />
gesamten Ort zu erzeugen erlaubt (Abb. 16).<br />
Aber der Preis, den man dafür zahlen muss,<br />
lautet: Akzeptiere, dass der Inkreismittelpunkt<br />
I sich bei jedem zweiten Durchlauf aus<br />
dem Dreieck ABC herausbewegt!<br />
Im Gr<strong>und</strong>e wird durch das stetige Verhalten<br />
von "Cinderella" hier auch eine Kontinuität<br />
der Konstruktion vorgetäuscht, die so nicht<br />
gegeben ist: offenbar hört I ja "unterwegs"<br />
auf, der Inkreismittelpunkt des Dreiecks zu<br />
sein; <strong>—</strong> aber was repräsentiert I denn dann?<br />
Be<strong>im</strong> Ziehen wird ja die Innen- stetig in die<br />
Außenwinkelhalbierende überführt, I wird also<br />
zum Ankreismittelpunkt!<br />
An der Stelle wird deutlich, dass derartige<br />
Phänomene allein durch die Wahl der Zug-<br />
Strategie nicht zufriedenstellend geklärt werden<br />
können, sondern dass ein neuer Begriff<br />
von Konstruktion erforderlich ist: Eine dynamische<br />
Konstruktion hat offenbar einen Gültigkeitsbereich,<br />
der sowohl von der Lage der<br />
Ausgangspunkte als auch von ihrer "Geschichte"<br />
abhängt. Dafür gibt es in der statischen<br />
Geometrie keine Parallele.<br />
Auf der Basis des gewohnten Konstruktionsbegriffs<br />
lässt sich die obige Schwierigkeit jedoch<br />
ebenfalls beheben; <strong>—</strong> wenn man die<br />
gewohnte Konstruktion der Strophoide durch<br />
eine Linealkonstruktion ersetzt, wird auch<br />
von deterministischen DGS die ganze Ortslinie<br />
erzeugt!<br />
108<br />
Abb. 16<br />
II.2 Dynamische Linealkonstruktionen<br />
Gewöhnlich beschreibt man die Mächtigkeit<br />
eines Zeichengeräts durch die Menge der mit<br />
ihm konstruierbaren Punkte. Dann gilt bekanntlich<br />
(Bieberbach 1952) der<br />
Satz: Die Koordinaten der mit dem Lineal<br />
konstruierbaren Punkte sind genau die, die<br />
sich durch rationale Ausdrücke in den Koordinaten<br />
der gegebenen Punkte beschreiben<br />
lassen.<br />
Ein neues Element tritt jedoch<br />
dann hinzu, wenn man<br />
die Beweglichkeit der gegebenen<br />
Punkte zu erfassen<br />
sucht.<br />
Variiert ein Punkt P auf einer<br />
Geraden, sind seine Koordinaten<br />
lineare Funktionen eines<br />
Parameters t, die wir mit diesem<br />
halbfreien Punkt identifizieren<br />
können. Ein Punkt Q,<br />
der aus P <strong>und</strong> weiteren festen<br />
Punkten allein mit Hilfe des Lineals<br />
konstruiert ist, hat Koordinaten,<br />
die rationale Funktionen<br />
von t sind. Die Ortslinie von Q bei Variation<br />
von P nennen wir dynamisches Linealkonstrukt.<br />
Den bekannten Satz über die<br />
Konstruierbarkeit mit dem Lineal können wir<br />
daher so dynamisieren.<br />
Satz über dynamische Linealkonstrukte:<br />
Die dynamischen Linealkonstrukte<br />
sind genau die Ortslinien, für die es eine<br />
rationale Parameterdarstellung gibt.<br />
Überraschend ist nun, wie groß die Klasse<br />
der Ortlinien mit diesen beiden äquivalenten<br />
Eigenschaften ist; <strong>—</strong> zunächst einmal erweist<br />
sich der Kreis als dynamisches Linealkonstrukt:<br />
Dies haben wir in (Gawlick 2004a) auf<br />
dreierlei Art sowohl algebraisch als auch geometrisch<br />
gezeigt. Am einfachsten zugänglich<br />
ist wohl folgende Anwendung der Umkehrung<br />
des Satzes von Thales: Sind P <strong>und</strong><br />
Q diametrale Punkte des Kreises k <strong>und</strong><br />
durchläuft R eine von PQ verschiedene Gerade<br />
g, so durchläuft der Schnittpunkt S von<br />
PR <strong>und</strong> des Lots aus Q auf PR den Kreis, <strong>—</strong><br />
der umgekehrt so mit dem Lineal allein rekonstruiert<br />
werden kann (vgl. Abb. 17)!<br />
Aber auch die algebraische Zugangsweise<br />
vermittelt wertvolle Einsichten: Für den Beweis<br />
der obigen Sätze überlegt man sich ja,<br />
dass sich mit Hilfe des Lineals alle vier<br />
Gr<strong>und</strong>rechenarten geometrisch realisieren<br />
lassen. Zur konkreten Durchführung der in<br />
(Gawlick 2004a) erläuterten Konstruktionen