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George Orwell 1984 - staticfly.net

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Schwester. Er wusste, dass er die beiden anderen damit zum<br />

Verhungern verurteilte, aber es war nichts dagegen zu machen;<br />

er hatte sogar das Gefühl, er habe ein Recht dazu. Der nagende<br />

Hunger in seiner Magengrube schien ihm eine hinreichende<br />

Rechtfertigung. Und wenn seine Mutter nicht aufpasste, stahl er<br />

zwischen den Mahlzeiten von den armseligen<br />

Lebensmittelvorräten auf dem Wandbrett.<br />

Eines Tages wurde eine Schokoladeration verteilt. Seit<br />

Wochen oder Monaten hatte es keine Zuteilung mehr gegeben.<br />

Sie erhielten zu dritt ein Täfelchen im Gewicht von zwei Unzen<br />

(damals rech<strong>net</strong>e man noch nach Unzen), das offensichtlich in<br />

drei gleiche Teile geteilt werden sollte. Plötzlich hörte sich<br />

Winston, als vernehme er die Stimme eines fremden Menschen,<br />

mit schallender Stimme fordern, man solle ihm das ganze Stück<br />

geben. Seine Mutter ermahnte ihn, nicht so habgierig zu sein.<br />

Ein langes, nicht endenwollendes Hin und Her mit Geschrei,<br />

Gejammer, Tränen, Vorwürfen und Feilschen war die Folge.<br />

Seine winzige Schwester, die sich genau wie ein kleines<br />

Äffchen mit beiden Ärmchen an seine Mutter klammerte, saß<br />

dabei und sah ihn über deren Schulter hinweg mit großen<br />

traurigen Augen an. Schließlich brach seine Mutter drei Viertel<br />

von der Schokolade ab, gab sie Winston und das letzte Viertel<br />

seiner Schwester. Das Kind nahm es und sah es mit müdem<br />

Blick an; vielleicht wusste es gar nicht, was es war. Winston<br />

stand dabei und beobachtete es einen Augenblick. Dann riss er<br />

mit einem plötzlichen raschen Sprung seiner Schwester die<br />

Schokolade aus der Hand und suchte die Tür zu erreichen.<br />

»Winston! Winston!« rief ihm seine Mutter nach. »Komm<br />

her! Gib deiner Schwester die Schokolade zurück!«<br />

Er blieb stehen, kam aber nicht zurück. Die ängstlichen<br />

Augen der Mutter waren auf sein Gesicht gerichtet. Sogar in<br />

diesem Moment noch dachte sie an das bewusste Ereignis, das<br />

bald eintreten musste und das ihm rätselhaft war. Da seine<br />

Schwester gemerkt hatte, dass man ihr etwas weggenommen<br />

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