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George Orwell 1984 - staticfly.net

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durch eine solche Kleinigkeit konnte man sich verraten. Ein<br />

schnüffelnder fanatischer Eiferer im Ministerium (vermutlich<br />

eine Frau: so jemand wie die kleine Aschblonde oder das<br />

schwarzhaarige Mädchen aus der Literatur-Abteilung) konnte<br />

sich zu wundern anfangen, warum er während der Mittagspause<br />

geschrieben, warum er eine altmodische Stahlfeder benützt und<br />

was er geschrieben hatte - um dann an zuständiger Stelle einen<br />

Wink zu geben. Er ging ins Badezimmer und schrubbte die<br />

Tintenflecke sorgfältig mit der sandigen dunkelbraunen Seife,<br />

die einem die Hand wie Schmirgelpapier aufscheuerte und<br />

deshalb für seinen Zweck geeig<strong>net</strong> war.<br />

Er legte sein Tagebuch in die Schublade. Der Gedanke, es zu<br />

verstecken, war völlig sinnlos, aber er konnte wenigstens<br />

Vorkehrungen treffen, um sich zu vergewissern, ob es entdeckt<br />

worden war.<br />

Ein zwischen die Seiten gelegtes Haar war zu augenfällig. Mit<br />

der Fingerspitze pickte er ein gerade noch erkennbares<br />

weißliches Staubkörnchen auf und legte es auf die Ecke des<br />

Einbands, wo es herunterfallen musste, wenn jemand das Buch<br />

berührte.<br />

Winston träumte von seiner Mutter. Er musste, so überlegte<br />

er, zehn oder elf Jahre alt gewesen sein, als seine Mutter<br />

verschwunden war. Sie war eine große, würdevolle, ziemlich<br />

stille Frau mit gemessenen Bewegungen und wundervollen<br />

blonden Haaren gewesen. Seinen Vater hatte er undeutlicher in<br />

Erinnerung: dunkelhaarig und hager, immer in eleganten<br />

dunklen Anzügen (Winston entsann sich insbesondere seiner<br />

sehr dünnen Schuhsohlen) und mit einer Brille. Die beiden<br />

mussten offenbar bei einer der ersten großen<br />

Säuberungsaktionen nach 1950 ums Leben gekommen sein.<br />

Im Traum saß seine Mutter an einem Platz tief unter ihm,<br />

seine kleine Schwester in den Armen. Er erinnerte sich an seine<br />

Schwester nur noch als an ein winziges, schwächliches, immer<br />

lautloses Kind mit großen, aufmerksamen Augen. Beide blickten<br />

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