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Klassenkämpfe in der BRD - Instituts für kritische Theorie (InkriT)

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Streikkämpfe iri <strong>der</strong> <strong>BRD</strong> 1971 bis 1974 363<br />

Die Chemie-Konzerne können mit ihren spalterischen und antigewerkschaftlichen<br />

Praktiken an <strong>für</strong> sie günstige objektive und subjektive<br />

Strukturen anknüpfen. Dies betrifft zunächst e<strong>in</strong>mal die Zusammensetzung<br />

<strong>der</strong> Belegschaften, die zu mehr als e<strong>in</strong>em Drittel aus<br />

Angestellten bestehen. Hiervon wie<strong>der</strong>um haben e<strong>in</strong> Zehntel Hochschulausbildung,<br />

fast e<strong>in</strong> Viertel wird außertariflich bezahlt. Das<br />

Bewußtse<strong>in</strong>, „etwas Beson<strong>der</strong>es" zu se<strong>in</strong>, ist gerade bei den Angestellten<br />

stark verbreitet. Die Situation <strong>der</strong> Arbeiter wie<strong>der</strong>um wird<br />

nicht selten durch e<strong>in</strong>e ausgeprägte Vere<strong>in</strong>zelung am Arbeitsplatz<br />

bestimmt. In den großen Werken <strong>der</strong> chemischen Industrie s<strong>in</strong>d zwar<br />

oft Tausende von Arbeitern beschäftigt — freilich meist mit <strong>der</strong><br />

Produktion e<strong>in</strong>er Vielzahl unterschiedlicher Erzeugnisse, die <strong>in</strong> zahlreichen<br />

separaten Betrieben und Abteilungen gefertigt werden. Beispielsweise<br />

verteilen sich die 28 000 Beschäftigten <strong>der</strong> Farbwerke<br />

Hoechst auf 400 verschiedene „Betriebe". Es gibt so <strong>in</strong> <strong>der</strong> chemischen<br />

Industrie — bed<strong>in</strong>gt durch die Spezifik des Arbeitsprozesses<br />

— relativ wenig betriebliche Kontakte, wodürch das Gefühl kollektiver<br />

Zusammengehörigkeit und Solidarität bei den Belegschaften<br />

geschwächt sowie die Gewerkschaftsarbeit erschwert wird. — An<strong>der</strong>s<br />

als etwa die Metallarbeiter verfügen die Chemiearbeiter auch<br />

kaum über Kampftraditionen und -erfahrungen. Die letzten größeren<br />

Streiks <strong>in</strong> <strong>der</strong> chemischen Industrie fanden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit zwischen<br />

1919 und 1924 statt. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

<strong>in</strong> den Großbetrieben relativ niedrig. Insgesamt beträgt<br />

er 46 °/o, <strong>für</strong> die Angestellten 21 °/o; bei Hoechst s<strong>in</strong>d nur 39 °/o, bei<br />

Bayer nur 38 % <strong>der</strong> Beschäftigten <strong>in</strong> <strong>der</strong> IG Chemie organisiert.<br />

Diese und an<strong>der</strong>e Beson<strong>der</strong>heiten komplizierten notwendigerweise<br />

die Kampfbed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Chemiearbeiter und -angestellten auch<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Tarifrunde 1971. Die chemische Industrie <strong>der</strong> <strong>BRD</strong> hatte <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

<strong>in</strong> den Jahren 1968 und 1969 Rekordprofite erzielt. Die<br />

gewaltige Steigerung <strong>der</strong> Investitionen hatte jedoch zur Bildung von<br />

Überkapazitäten geführt, die dann nicht mehr ausgelastet werden<br />

konnten. Infolgedessen lag das Wachstum <strong>der</strong> Chemie 1970 unter<br />

dem Durchschnitt <strong>der</strong> Industrie <strong>in</strong>sgesamt. Auch nahmen die Profite<br />

nicht mehr so stark zü wie <strong>in</strong> den Vorjahren. Die Tatsache, daß z. B.<br />

bei <strong>der</strong> IG Farben-Gruppe die Dividenden auf dem Vorjahresniveau<br />

blieben, beweist jedoch, daß kräftige Reallohrierhöhungen durchaus<br />

möglich waren. Die Chemie-Konzerne aber wollten die vorübergehende<br />

Wachstumsabschwächung <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e Reallohnsenkung nutzen.<br />

Für e<strong>in</strong>e Kraftprobe mit den Gewerkschaften schien ihnen die Tarifrunde<br />

1971 gut geeignet. Schon Ende 1970, also noch während <strong>der</strong><br />

Laufzeit <strong>der</strong> alten Tarifverträge, begannen sie sich planmäßig auf<br />

Kampfmaßnahmen vorzubereiten. Den e<strong>in</strong>zelnen Chemie-Unternehmen<br />

wurden durch den Unternehmerverband mittels Rundschreiben<br />

detaillierte Verhaltensmaßregeln <strong>für</strong> den Streikfall gegeben, wobei<br />

beson<strong>der</strong>s auf die Organisierung des Streikbruchs verwiesen wurde.<br />

Die Unternehmer mußten 0,7 % <strong>der</strong> Lohn- und Gehaltssumme von<br />

1969 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e zentrale Anti-Streik-Kasse e<strong>in</strong>zahlen, die die Bezeichnung<br />

„Fonds zur Sicherung des Arbeitsfriedens" erhielt.

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