Klassenkämpfe in der BRD - Instituts für kritische Theorie (InkriT)

500 Besprechungen
Deuerlein hat das Thema verfehlt, weil seine Intentionen eigentlich
in eine ganz andere Richtung gehen. Im Grunde nämlich will er
zeigen, daß die Sowjetunion während der letzten beiden Kriegs jähre
und im Frühsommer 1945 den Vereinigten Staaten folgenschwere
Konzessionen abrang und daß auch Truman sich von Stalin „überrennen"
ließ (z. B. 137). Daß die Truman-Administration die Rooseveltsche
Politik der permanenten Zugeständnisse an die sowjetische
Position in Potsdam mangels Übersicht und Intransigenz auf die
Spitze trieb, steht für Deuerlein außer Frage.
Nun ist freilich diese Version einer Vorgeschichte des kalten Kriegs
vor allem von Gar Alperovitz schon 1965 (vgl. die Besprechung in
Das Argument 48, 10. Jg. [1968], S. 266 ff.) überzeugend widerlegt
worden; er hat festgestellt daß nicht nur die Kontinuität der amerikanischen
Vorleistungen, sondern daß auch diese selbst in den Bereich
der Legende gehören. Nachdem Roosevelt die Mängel seiner oneworld-Konzeption
erkannt und noch kurz vor seinem Tod denkbaren
prosowjetischen Kompromissen abgeschworen hatte, markierte Truman
bereits unmittelbar nach seinem Amtsantritt eine strikte antisowjetische
Position. Unter dem Einfluß der „Falken" innerhalb der
amerikanischen Administration (Harriman u. a.) begann er einen betont
harten Kurs gegen den sowjetischen Alliierten zu steuern, den
er lediglich taktisch abwandelte, nachdem er von Kriegsminister
Stimson über den fortgeschrittenen Entwicklungsstand der atomaren
Waffentechnik informiert worden war. Seitdem er wußte, daß der
Tag, an dem die erste amerikanische Atombombe einsatzfähig sein
würde, näherrückte, lenkte Truman der Sowjetunion gegenüber
merklich ein, in der Hoffnung, die amerikanische „Trumpfkarte" zur
richtigen Zeit um so effektvoller ausspielen zu können. Deuerlein erfaßt
zwar marginal den Einfluß des potentiellen Atomwaffenmonopols
auf die amerikanische Strategie (36, 111, 138), ohne aber die
ganze politische Tragweite des waffentechnischen Vorsprungs der
Vereinigten Staaten zu erkennen. Deshalb sieht er auch nicht, daß die
amerikanische Delegation die zentralen politischen Probleme in Potsdam
dilatorisch behandelte, um Zeit zu gewinnen; und deshalb vermerkt
er auch nicht die Tatsache, daß sie die Konferenz zumindest
indirekt unter Druck setzte, indem sie des öfteren bekundete, die
Verhandlungen frühzeitig abbrechen zu wollen.
Trumans Diplomatie zielte in Potsdam darauf ab, jene „Zugeständnisse"
zu revidieren, die sein Vorgänger Roosevelt weniger an die
Sowjetunion, sondern vielmehr an die durch sie geschaffenen Faktizitäten
gemacht hatte: die Anerkennung von Einflußsphären, Reparationsleistungen
etc.
Daß diese Strategie je nach Verhandlungsobjekt von unterschiedlichem
Erfolg gekrönt war, ist kein Zufall. Während es Truman
gelang, die Zusagen, die Roosevelt bezüglich der sowjetischen Reparationsforderungen
in Jalta gemacht hatte, weitgehend zu revozieren
— ein Fakt, den Deuerlein trotz langatmiger Erörterungen des
Komplexes einfach verschweigt —, mußte er seine Ziele in der Frage
der polnischen Westgrenze und der Umsiedlung zurückstecken, ohne