Klassenkämpfe in der BRD - Instituts für kritische Theorie (InkriT)
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Streikkämpfe iri <strong>der</strong> <strong>BRD</strong> 1971 bis 1974 365<br />
21./22. 6. betrug die Teilnehmerzahl an Vollstreiks <strong>in</strong> Hessen 16 000,<br />
<strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong> 12 000. Bis zum 25. 6. stieg diese Zahl <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong> auf<br />
15 000, während sie <strong>in</strong> Hessen auf 8300 zurückg<strong>in</strong>g. — Die vierte und<br />
letzte Phase des Arbeitskampfes begann am 22. bzw. 24. 6. mit dem<br />
Scheitern <strong>der</strong> Bundesschlichtung <strong>in</strong> den Bezirken Hamburg und<br />
Westfalen, wodurch sich die Kampffront weiter verbreiterte. Am<br />
30. 6. standen <strong>in</strong> nunmehr vier Bezirken mit 38 000 Streikenden 10%<br />
<strong>der</strong> Beschäftigten im Kampf. Und erst am 4. Juli fand <strong>der</strong> Streikkampf<br />
e<strong>in</strong> Ende, nachdem <strong>in</strong> Bonn unter Beteiligung von Regierungsvertretern<br />
e<strong>in</strong> Ergebnis ausgehandelt worden war, dem die IG<br />
Chemie zustimmte. Dieser Abschluß (je 60 DM mehr <strong>für</strong> April und<br />
Mai, dann 7,8 %> <strong>für</strong> die nächsten 10 Monate; stufenweise Tarifierung<br />
des 13. Monatsgehalts ab 1971) war zwar besser als <strong>der</strong> von Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz,<br />
entsprach aber we<strong>der</strong> den berechtigten gewerkschaftlichen<br />
Ausgangsfor<strong>der</strong>ungen noch den ökonomischen Möglichkeiten<br />
<strong>der</strong> Chemie-Konzerne.<br />
An den Streiks <strong>in</strong> <strong>der</strong> chemischen Industrie, die sich über mehr als<br />
e<strong>in</strong>en Monat h<strong>in</strong>gezogen hatten, waren <strong>in</strong>sgesamt über 150 000 —<br />
täglich maximal bis zu 50 000 — Arbeiter und Angestellte beteiligt<br />
gewesen. Die Härte des Kampfes war nicht zuletzt dar<strong>in</strong> zum Ausdruck<br />
gekommen, daß mehrfach — u. a. bei Clouth (Köln), Merck<br />
(Darmstadt), Kalle (Wiesbaden) und Glanzstoff (Oberbruch) — brutale<br />
Polizeie<strong>in</strong>sätze durchgeführt worden waren, um den von den<br />
Unternehmern organisierten Streikbruch zu unterstützen. Auch<br />
mehrere Arbeitsgerichtsurteile versuchten, Streikbrecher zu begünstigen<br />
und darüber h<strong>in</strong>aus den Streik im aktiven vertragslosen Zustand<br />
überhaupt zu illegalisieren.<br />
Nur rund e<strong>in</strong> halbes Dutzend Betriebe hatte während <strong>der</strong> gesamten<br />
Zeit des aktiven vertragslosen Zustandes voll im Streik gestanden.<br />
Im übrigen war <strong>der</strong> Vollstreik e<strong>in</strong>e relativ selten angewandte<br />
Kampfform. Statt dessen kam überwiegend e<strong>in</strong>e Vielzahl von<br />
Kampf formen unterhalb dieser Schwelle zur Anwendung: Demonstrationen<br />
und Kundgebungen im Betrieb, verkürzte Schichten, verlängerte<br />
Pausen, Verweigerung von Überstunden, Arbeit „nach Vorschrift",<br />
Sitzstreiks, Kurzstreiks, Abteilungsstreiks, Bummelstreiks,<br />
befristete Warnstreiks usw. Diese flexible Kampfführung entsprach<br />
wahrsche<strong>in</strong>lich am ehesten <strong>der</strong> komplizierten und differenzierten Situation<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> chemischen Industrie: Denn die Kampfbereitschaft<br />
war ke<strong>in</strong>eswegs überall gleich groß — wie auch die Gewerkschaft<br />
nicht überall gleich stark war. Generell war die Kampfbereitschaft<br />
bei Arbeitern wesentlich höher als bei Angestellten. Der Kampf<br />
wurde dort am geschlossensten geführt, wo — wie u. a. bei Clouth,<br />
Merck o<strong>der</strong> Degussa II <strong>in</strong> Frankfurt — die Gewerkschaft relativ gut<br />
im Betrieb verankert und <strong>für</strong> die Streikleitungen e<strong>in</strong> ausreichen<strong>der</strong><br />
Ka<strong>der</strong> aktiver Gewerkschaftler vorhanden war. Insbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> den<br />
Hauptwerken <strong>der</strong> IG Farben-Gruppe machte sich jedoch bei großen<br />
Teilen <strong>der</strong> Belegschaften e<strong>in</strong> noch wenig entwickeltes Klassenbewußtse<strong>in</strong>,<br />
da<strong>für</strong> e<strong>in</strong>e starke ideologische B<strong>in</strong>dung an „ihr" Werk,<br />
<strong>der</strong> Glaube an e<strong>in</strong>e verme<strong>in</strong>tliche Geme<strong>in</strong>samkeit von Konzern- und