Klassenkämpfe in der BRD - Instituts für kritische Theorie (InkriT)

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Agieren beeinflussen. Das kann aber von Lange nicht entwickelt
werden, weil ihm dazu das wissenschaftliche Instrumentarium fehlt.
Detlef Horster (Hannover)
Menninger, Karl: Strafe — ein Verbrechen? Erfahrungen
und Thesen eines amerikanischen Psychiaters. R. Piper Verlag,
München 1970 (337 S., Ln., 26,— DM).
Die zaghafte Änderung der Einstellung von Ärzten und Öffentlichkeit
zum Problem der Behandlung psychischer Erkrankungen
klammert den Bereich der Kriminalität noch immer weitgehend aus.
Die Frage, wie mit Delinquenten (re)sozialisierend umzugehen ist,
und die weitere, ob Behandlung nur auf Anpassung an bestehende
Verhältnisse hinauslaufen soll, werden auch von Menninger nur an
der Oberfläche und auch nur insofern berührt, als die Notwendigkeit
der Behandlung emphatisch betont wird. Eine Erklärung der Techniken
und Parameter, die bei der sozial- und psychotherapeutischen
Einzel- und Gruppenbehandlung von Verwahrlosten und Kriminellen
erforderlich sind, erfährt man hier nicht.
Menninger setzt das Problem der Behandlung Delinquenter zwar
dem der „vernünftigen" Behandlung von psychisch Kranken gleich,
die vordem als unheilbar und unbehandelbar galten. Diese Gleichsetzung
aber ist verkürzt und irreführend. Die „normale" Population
psychiatrischer Anstalten unterscheidet sich hinsichtlich der psychischen
Strukturen und Insassenkulturen wesentlich von der Population
der Strafanstalten. Humanitäres Pathos, Hilfs- und Liebesbeschwörungen
als Resozialisierungsmodalitäten genügen nicht, den
Widerstand gegen die Sozialisierung Verwahrloster zu beseitigen —
einen Widerstand, der u. a. auf den Belohnungswünschen der Bürger
für Wohlverhalten und damit eng gekoppelt auf einem massiven
Bedürfnis nach harter Bestrafung beruht. Der aus diesen Ursachen
resultierenden Zementierung der Verhältnisse entspricht wiederum
die Verhärtung der Einstellungen und eingeschliffenen Verhaltensweisen
der Klienten in den Anstalten selbst. Menninger rettet sich in
einen euphorischen Appell nach Teilhabe und Solidarität mit dem
Delinquenten. Haß soll durch Liebe ersetzt, der Täter durch einen
psychotherapeutischen Prozeß an die Normen konditioniert werden.
Daß Struktur und Sachzwänge des amerikanischen Wirtschaftssystems
ebenso wie die ökonomische und soziale Misere kriminell
Gefährdeter das Verbrechen reproduzieren und ein Umdenken des
Bürgers erschweren — wenn nicht unmöglich machen —, ist Menningen
Problem offensichtlich nicht. Allein rationale, überschaubare Behandlungsstrategien
und nicht emotionale Beschwörungen könnten
die Vollzugsmisere unterlaufen. Eine Darstellung dieser Strategien
hätte man somit hier erwartet. Die wiederholte Decouvrierung juristischen
Unverstandes, bornierter Psychiatrie und eines abgestumpften
„Bürgersinns" werden die sadistischen Vollzugspraktiken kaum
ändern.
Heiner Christ (Gießen)