Klassenkämpfe in der BRD - Instituts für kritische Theorie (InkriT)

Jura 525
schenbild entwerfe (besser: beschwöre). Dieser Bezug wird jedoch nicht
wissenschaftlich vermittelt. Auch hier kann nachgewiesen werden,
daß sich Gehlens Anthropologie nur deshalb zur Rezeption für Lange
anbietet, weil damit Ergebnisse untermauert werden können, die
Lange sich wünscht. Lange ist der Überzeugung, daß die rechtliche
Norm etwas sei, das zur Natur des Menschen gehöre, demnach bei
Straffälligen nicht Heilen, sondern Strafen angebracht sei. Von dieser
Wunschvorstellung her wird Gehlen ins Spiel gebracht: „Die positive
Bedeutung und Notwendigkeit von Normen und Institutionen für
die menschliche Existenz haben demgegenüber bei uns Arnold Gehlen
und Helmut Schelsky aufs neue dargetan" (205). Oder: „Und die
Frage nach dem Sinn von Normen wird gleich doppelt verfehlt: einmal
in Zusammenhang mit der menschlichen Existenz, der sie formend
und, wie Gehlen und Schelsky gezeigt haben, zugleich entlastend
dienen; sodann, weil ihre eigentliche Funktion in der Regulierung
der unaufhebbaren Spannung zwischen Sein und Sollen besteht;
ohne diese Spannung gibt es keine Kultur" (279). Als weitere
Zeugen für Langes Wunschvorstellung müssen Malinowski, Mead
und Benedict herhalten. Sie hätten „durch ihre Forschungen unter
den Melanesiern sichergestellt, daß das Recht von vornherein neben
der Religion als unabhängiger, selbständiger und originärer Normbereich
existiert, ohne den auch eine urtümliche Gesellschaft nicht
denkbar ist. So zeigt schon die Kulturanthropologie, wie schief das
Schlagwort .heilen statt strafen' ist" (344). M. Mead hat sich oft gegen
mißverständliche Interpretationen ihrer empirischen Befunde gewehrt.
Auch Langes platte Interpretation gehört zu diesen Verfälschungen.
Sicher bedarf es einer Kritik der Kriminologie, deren Determiniertheit
angetan ist, den Blick auf das Wesentliche, auf die Struktur
der Gesellschaft zu versperren. Kriminologie in unserer Gesellschaft
soll durch ihre Anwendung in sozialtherapeutischen Anstalten den
Straffälligen so „heilen", daß er in der Gesellschaft, in der er straffällig
wurde, ohne Konflikte bestehen kann. Welche Intention hinter
der Behandlung in solchen Anstalten steht, zeigt die Behandlung
selbst. Es wird dort z. B. der Streß des Arbeitsprozesses eingeübt.
Vollwertige Arbeitskräfte sind das Ziel. — Langes Kritik geht an
dieser Tatsache vorbei. Seine Metakriminologie versperrt den Blick
in verhängnisvoller Weise. Lombroso, ein radikaler Vorläufer der
Kriminalanthropologie, die Langes Metakriminologie zugrunde liegt,
entwickelte das Konzept vom „geborenen Verbrecher". Gegen den
geborenen Verbrecher helfe natürlich kein Heilen, keine Erziehung
oder Milieuveränderung. Gegen die angeborene, somit unaufhebbare
Konstitution wirke nicht nur die Vergeltung, sondern mit letzter
Konsequenz — aufgrund anthropologischer Einsicht auch einleuchtend
— die Ausrottung kranker Erbmasse.
An den Anfang der kriminologischen Forschung gehören sicher
Überlegungen zum Menschenbild, Überlegungen in die Richtung, daß
Menschen in der Geschichte die Gesellschaftsstrukturen schaffen, daß
Gesellschaftsstrukturen auf den Menschen zurückwirken und sein