Klassenkämpfe in der BRD - Instituts für kritische Theorie (InkriT)
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360 Kurt Ste<strong>in</strong>haus<br />
hütte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Oberpfalz. Bis zum 19. 9. streikten m<strong>in</strong>destens 140 000<br />
Arbeiter <strong>in</strong> 69 Betrieben, die Zahl <strong>der</strong> Streiktage erreichte 532 000.<br />
Die meisten Streiks waren erfolgreich. Darüber h<strong>in</strong>aus leitete die<br />
Streikwelle e<strong>in</strong>e breite Tarifbewegung e<strong>in</strong>, die <strong>für</strong> Millionen von Arbeitern<br />
und Angestellten (auch solcher Unternehmen und Branchen,<br />
<strong>in</strong> denen gar ke<strong>in</strong>e Streiks stattgefunden hatten) wesentlich höhere<br />
E<strong>in</strong>kommen brachte. Die Bedeutung <strong>der</strong> Septemberstreiks 1969 ist<br />
jedoch nicht alle<strong>in</strong> daran zu messen, daß durch sie Lohnerhöhungen<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Größenordnung erkämpft wurden, wie sie bis dah<strong>in</strong> noch<br />
ke<strong>in</strong>e Tarifverhandlung zum Ergebnis gehabt hatte. In diesen<br />
Streiks gewann die Arbeiterklasse <strong>der</strong> <strong>BRD</strong> e<strong>in</strong> neues Bewußtse<strong>in</strong><br />
ihrer Kraft, sammelte sie wichtige Kampferfahrungen und entwickelte<br />
neue Aktionsformen.<br />
Die Septemberstreiks 1969 wurden nicht von den Gewerkschaften<br />
getragen, von <strong>der</strong> Bourgeoisie und ihren Massenmedien wurden sie<br />
als „wild" bezeichnet. In Wirklichkeit waren sie jedoch alles an<strong>der</strong>e<br />
als „wild", son<strong>der</strong>n durch e<strong>in</strong>e imponierende Geschlossenheit und<br />
Diszipl<strong>in</strong> <strong>der</strong> Streikenden gekennzeichnet. Ihr herausragendes Merkmal<br />
war ferner, daß die Belegschaften meist wie üblich <strong>in</strong> Arbeitskleidung<br />
<strong>in</strong> den Betrieben anwesend waren und ihre Karten abstempelten.<br />
Diese Kampfform <strong>der</strong> „faktischen Betriebsbesetzung"<br />
war <strong>für</strong> den Erfolg <strong>der</strong> Streiks von großer Bedeutung. Denn da den<br />
Streikenden ke<strong>in</strong>e Gewerkschaftsbüros und Streiklokale zur Verfügimg<br />
standen, war <strong>der</strong> Betrieb <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zige Ort, an dem die Belegschaften<br />
und ihre Streikleitungen e<strong>in</strong> kollektives und solidarisches<br />
Handeln vorbereiten und praktizieren konnten. Die Streiks konzentrierten<br />
sich fast ausschließlich auf Betriebe (meist Großbetriebe) <strong>der</strong><br />
Metall- und Stahl<strong>in</strong>dustrie sowie des Bergbaus, wo <strong>der</strong> gewerkschaftliche<br />
Organisationsgrad weit über dem Durchschnitt liegt.<br />
Wenn auch <strong>in</strong> mehreren Fällen Angestellte ebenfalls die Arbeit nie<strong>der</strong>legten,<br />
so handelte es sich doch überwiegend um Arbeiterstreiks,<br />
wobei hochqualifizierte Facharbeitergruppen (<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Fällen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />
Reparaturarbeiter) die aktivsten Kräfte waren. Auch <strong>in</strong><br />
den Streikleitungen spielte <strong>der</strong> Typ des gewerkschaftlich organisiertn<br />
Facharbeiters <strong>der</strong> mittleren Generation die führende Rolle. Politisch<br />
wurden die Streiks von e<strong>in</strong>er Aktionse<strong>in</strong>heit sozialdemokratischer,<br />
kommunistischer und parteiloser Arbeiter getragen, was meist<br />
ohne allzu große Schwierigkeiten möglich war, da <strong>der</strong> offen zutage<br />
tretende Gegensatz zwischen Unternehmer- und Belegschafts<strong>in</strong>teressen<br />
politische und ideologische Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten <strong>in</strong>nerhalb<br />
<strong>der</strong> Belegschaften <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund drängte.<br />
Die Hoffnung <strong>der</strong> Bourgeoisie, bei den Septemberstreiks 1969 habe<br />
es sich um e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>maligen „Betriebsunfall" des westdeutschen Kapitalismus<br />
gehandelt, erwies sich schon 1970 als Illusion. Der Aufschwung<br />
des Kampfes <strong>der</strong> Arbeiterklasse gegen das Kapital hielt<br />
weiter an. Die Kämpfe des Jahres 1970 waren e<strong>in</strong>deutig durch die<br />
Erfahrungen und Lehren <strong>der</strong> Septemberstreiks 1969 bestimmt. Im<br />
Frühjahr und Sommer war die Kette betrieblicher Aktionen nicht<br />
abgerissen. Bis Ende August hatte sich e<strong>in</strong>heitlich im Bundesgebiet