Klassenkämpfe in der BRD - Instituts für kritische Theorie (InkriT)
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388 Kurt Ste<strong>in</strong>haus<br />
war. Der Zeitpunkt <strong>für</strong> diese Entscheidung, die auf dem Höhepunkt<br />
<strong>der</strong> sommerlichen Streikwelle <strong>für</strong> Teuerungszulagen fiel, war zweifellos<br />
gut gewählt. Auch <strong>in</strong> den Großbetrieben <strong>der</strong> baden-württembergischen<br />
Metall<strong>in</strong>dustrie gärte es. Für die Unruhe <strong>in</strong> den Betrieben<br />
gab es vor allem zwei Ursachen: Die Empörung richtete sich nicht<br />
nur gegen die Preistreiberei <strong>der</strong> Unternehmer, son<strong>der</strong>n zunehmend<br />
auch gegen die ständige Steigerung des Leistungsdrucks und <strong>der</strong><br />
Arbeitshetze. Und die Bereitschaft, gerade <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e Verbesserung<br />
<strong>der</strong> Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen zu kämpfen, war stärker als zuvor. Dies<br />
hatte sich <strong>in</strong> Baden-Württemberg bereits im Sommer gezeigt, z. B.<br />
als bei John Deere (Mannheim) nicht nur <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e Teuerungszulage,<br />
son<strong>der</strong>n auch <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e Verr<strong>in</strong>gerung <strong>der</strong> Bandgeschw<strong>in</strong>digkeit gestreikt<br />
wurde. Die IG Metall-Bezirksleitung stellte diese Situation<br />
<strong>in</strong> Rechnung. Nach <strong>der</strong> Feststellung des Scheiterns <strong>der</strong> Verhandlungen<br />
über den Lohnrahmen II am 29. 8. 1973 begann dann am 10. 9.<br />
das Schlichtungsverfahren unter Vorsitz des Schlichters Dr. Hans<br />
Güntner, <strong>der</strong> bis 1971 Direktor am Landesarbeitsgericht Baden-<br />
Württemberg gewesen und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit des Hitlerfaschismus mit dem<br />
faschistischen Justizapparat <strong>in</strong> Konflikt geraten war. Güntner war<br />
von <strong>der</strong> IG Metall als Schlichter vorgeschlagen und durch das Los<br />
bestimmt worden. Die Hauptfor<strong>der</strong>ungen, mit denen die IG Metall<br />
<strong>in</strong> die Schlichtung g<strong>in</strong>g, waren:<br />
a) Kündigungsschutz und Verdienstabsicherung vom 50. Lebensjahr<br />
an;<br />
b) E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>er bezahlten M<strong>in</strong>desterholzeit <strong>für</strong> Band- und Akkordarbeiter<br />
von 6 M<strong>in</strong>uten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stunde;<br />
c) e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>destverdienstgarantie <strong>für</strong> Akkordarbeiter <strong>in</strong> Höhe von<br />
140 %> des Tariflohnes;<br />
d) das Verbot von Arbeitstakten am Fließband unter 1,5 M<strong>in</strong>uten.<br />
Die große Bedeutung dieser For<strong>der</strong>ungen <strong>für</strong> die Arbeiterklasse<br />
liegt auf <strong>der</strong> Hand: Sie zielten darauf ab, zum e<strong>in</strong>en die Arbeiter<br />
besser als bisher vor Lohnabbau und Arbeitsplatzverlust zu schützen,<br />
zum zweiten die beson<strong>der</strong>en Belastungen <strong>der</strong> Band- und Akkordarbeit<br />
abzumil<strong>der</strong>n. Aufgrund <strong>der</strong> Komb<strong>in</strong>ation <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ungen<br />
waren praktisch alle Arbeiter an ihrer Realisierung materiell<br />
<strong>in</strong>teressiert: Denn zwar betrafen die Punkte b)—d) direkt nur Bandund<br />
Akkordarbeiter, aber die For<strong>der</strong>ung a) war zu Recht bei allen<br />
Arbeitern populär; ferner war die tarifvertragliche Festlegung<br />
e<strong>in</strong>er Verdienstgarantie oberhalb <strong>der</strong> Tariflöhne — selbst wenn sie<br />
formell nur Band- und Akkordarbeiter betraf — auch <strong>für</strong> an<strong>der</strong>e<br />
Arbeitergruppen relevant, da es sich bei e<strong>in</strong>er solchen Regelung e<strong>in</strong><br />
Kapitalist kaum leisten kann, Zeitlöhnern e<strong>in</strong>en relativ niedrigeren<br />
Effektivlohn zu zahlen. Es zeigte sich hier, daß dem ganzen Komplex,<br />
<strong>der</strong> oft als „Humanisierung <strong>der</strong> Arbeit", „Verbesserung <strong>der</strong><br />
Lebensqualität" bezeichnet wird, mit konkretem Inhalt gefüllt, e<strong>in</strong>e<br />
starke mobilisierende Wirkung <strong>in</strong>newohnt. Während des Schlichtungsverfahrens<br />
blieben die Unternehmervertreter unter Führung<br />
des jetzigen Präsidenten des Arbeitgeberverbandes, Schleyer, bei