Klassenkämpfe in der BRD - Instituts für kritische Theorie (InkriT)

Streikkämpfe iri der BRD 1971 bis 1974 383
niederlegung überhaupt zu verhandeln. Am 29. 8. gelang es der
rechten Mehrheit des Betriebsrates und der IG Metall-Ortsverwaltung,
eine Belegschaftsversammlung zu organisieren, die die Wiederaufnahme
der Arbeit beschloß. Die Mehrheit der Streikenden,
darunter fast alle Ausländer, waren auf dieser Versammlung nicht
zugegen, zum Teil noch nicht einmal über ihr Stattfinden informiert.
Diese Situation führte zur Spaltung der Belegschaft, was von der
Werksleitung als Vorwand für eine Aussperrung der Gesamtbelegschaft
genutzt wurde. Am Montag, dem 3. 9., erzwang die Direktion,
unterstützt durch einen massiven Polizeieinsatz, der von mehreren
Festnahmen begleitet war, die Wiederaufnahme der Arbeit. Nach
dem Streik erklärte sich die Konzernleitung zur Zahlung von 350
DM Vorschuß auf spätere tarifliche Regelungen bereit. Mehrere
Kollegen wurden entlassen.
Diese kurz dargestellten Streiks des Sommers 1973 weisen zahlreiche
interessante Merkmale auf und können auch wichtige Lehren
vermitteln: Die Hauptursache der Streiks lag in der allgemeinen
ökonomischen Entwicklung, vor allem in der galoppierenden Inflation.
Daneben war jedoch auch die zusätzliche Diskriminierung und
Ausbeutung der ausländischen Arbeiter und Arbeiterinnen ein wesentlicher
Faktor. Insbesondere bei Hella, bei Pierburg, bei Valvo
und bei Ford spielten die ausländischen Kollegen, die hier einen
Großteil, bisweilen sogar die Mehrheit der Belegschaften ausmachten,
während der Streikkämpfe eine auslösende, ja führende Rolle.
Dies hängt wesentlich mit der Struktur der bestreikten Betriebe zusammen:
Der hier mehr oder minder ausgeprägt vorherrschende
Typ der Großserienfertigung (Massenproduktion) bedingt einen
relativ hohen Anteil ungelernter bzw. kurzfristig angelernter Arbeiter
an der Belegschaft. Unter den gegenwärtigen Bedingungen
des Arbeitsmarktes der BRD bedeutet das meist einen hohen Ausländeranteil
der Belegschaft. Die ausländischen Arbeiter und Arbeiterinnen
sind dabei in der Regel mit Montagearbeiten (Zusammensetzen
von Teilen) oder mit einfachen mechanischen Tätigkeiten
(z. B. Metall-Verformung) befaßt. Der deutsche Teil der Belegschaft
besteht dann weitgehend aus kaufmännischen und technischen Angestellte,
sowie aus Facharbeitern. In der Tendenz liegt hier eine
ziemlich eindeutige funktionale Aufteilung der Belegschaft nach Nationalitäten
vor, der meist auch eine entsprechende Differenzierimg
in bezug auf die Entlohnung sowie auf die allgemeinen Arbeits- und
Lebensbedingungen entspricht. Und im Sommer 1973 haben diese
Lohndifferenzen, wie schon bei früheren Gelegenheiten, als wichtiger
mobilisierender Faktor gewirkt. Aber je ausgeprägter eine betriebliche
Differenzierung nach Nationalitäten ist, desto größer ist
in der Regel auch die Distanz zwischen Deutschen und Ausländern.
Und das wirft sehr komplizierte Probleme auf. — Im übrigen hat es
sich bei den Sommerstreiks fast ausschließlich um reine Arbeiter-
Streiks gehandelt. Es waren nur solche Angestellten-Gruppen an
den Kämpfen beteiligt, die als Meister, Vorarbeiter, Techniker usw.
unmittelbar in den Produktionsprozeß einbezogen sind.