Klassenkämpfe in der BRD - Instituts für kritische Theorie (InkriT)

Streikkämpfe iri der BRD 1971 bis 1974 401
renzierungen. Diesen und anderen Unterschieden in der objektiven
Situation und im Bewußtseinsstand bei verschiedenen Abteilungen
der Arbeiterklasse entsprechen auch Unterschiede im Verhalten. —
Wer nun die Streikkämpfe und Tarifbewegungen der vergangenen
Jahre im nachhinein analysiert, kann unschwer feststellen, daß es
eine Tendenz der Annäherung, eine Tendenz des zunehmend geschlossenen
und aktiven Handelns der verschiedenen Abteilungen
der Arbeiterklasse im Prozeß der Klassenauseinandersetzungen gibt.
Insbesondere gibt es deutliche Anzeichen für die Einbeziehung auch
bislang wenig aktiver Abteilungen der Arbeiterklasse in die Kämpfe.
Es ist mithin eine wachsende Breite der Bewegung erkennbar.
Daß die Industriearbeiterschaft den „harten Kern" der Arbeiterklasse
darstellt, ist eine alte Erfahrung, die sich auch in jüngster Zeit
immer wieder bestätigt hat. Allerdings mehren sich auch in der Industrie
in letzter Zeit Fälle von Streiks, an denen Angestellte, insbesondere
technische Angestellte, beteiligt sind. Eine wachsende Einbeziehung
von Angestellten in den Kampf der Arbeiterklasse spiegelt
auch die zunehmende Aktivität der Beschäftigten des Dienstleistungsbereichs
wider, der organisatorisch größtenteils durch die
Gewerkschaften HBV, ÖTV, DPG und GdED erfaßt wird. Der große
Streik der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes Anfang 1974 war
der bisher deutlichste Beweis für die zunehmende Kampfbereitschaft
und Kampfkraft dieser Gruppe der Arbeiterklasse.
In der Industriearbeiterschaft gelten die Metall- und Stahlarbeiter
schon immer zu Recht als die aktivste Gruppe. Aber auch , was die
Industriearbeiterschaft angeht, ist in letzter Zeit eine deutliche Erweiterung
der Aktivität über den IG Metall-Bereich hinaus feststellbar.
So offenbart die Streikbewegung, insbesondere seit 1971, eine
wachsende Einbeziehung weiterer Wirtschaftszweige und Gewerkschaftsbereiche
in den Kampf der Arbeiterklasse. Diese Tendenz manifestiert
sich vor allem im Chemiearbeiterstreik 1971, in den
Drucker- und Textilarbeiter- sowie in den Bergarbeiterstreiks 1973.
Die Streikbewegung in der BRD hat sich bislang sehr weitgehend
auf Großbetriebe beschränkt, wo der eigentliche Kern der Arbeiterklasse
konzentriert ist. Insbesondere in die Streikwelle des Jahres
1973 waren jedoch auch zahlreiche mittlere und kleinere Betriebe einbezogen,
deren Belegschaften bisher noch. niemals zuvor aktiv an
derartigen Klassenauseinandersetzungen beteiligt waren. Dies ist
besonders deshalb bemerkenswert, weil sich viele dieser Betriebe in
politisch wie ökonomisch wenig entwickelten Regionen befinden.
Eine wachsende Breite der Bewegung ist auch in anderer Hinsicht
erkennbar. Insbesondere bei einem Großteil der Streikkämpfe des
Sommers 1973 spielten ausländische Arbeiter und Arbeiterinnen eine
sehr aktive, oft sogar eine auslösende und führende Rolle. Die sozialökonomischen
Gründe für das aktive Engagement der ausländischen
Kollegen liegen auf der Hand: Sie sind gegenüber ihren deutschen
Kollegen in bezug auf den Lohn, die Arbeitsbedingungen, die
Wohnverhältnisse, ja in bezug auf ihre gesamte soziale Lage extrem