Klassenkämpfe in der BRD - Instituts für kritische Theorie (InkriT)

Soziale Bewegung und. Politik 505
lungen „aus Gründen der verwaltungstechnischen Notwendigkeit, Bequemlichkeit
oder Zweckmäßigkeit" belassen werden dürfe, so sah sie
inkonsequenterweise zugleich vor, daß die Militärregierung sich mit
keiner deutschen politischen Gruppierung verbinden dürfe (29), was
die Wirksamkeit antifaschistischer deutscher Kräfte stark behindern
mußte und auf die Vorstellung von einer Entnazifizierung ohne
aktive Anti-Nazis hinauslief. Das Gesetz Nr. 8 vom 26. Sept. 1945 hob
schon auf ein strafrechtlich gefaßtes „individuelles Inquisitions ver fahren"
(39) ab, statt auf die politische Entmachtung der für den deutschen
Faschismus verantwortlichen gesellschaftlichen Kräfte. Nach rein formalen
Kriterien vorgenommen, wurde die Fragebogen-Aktion in der
US-Zone zu einem gewaltigen Schlag ins Wasser. Dagegen wurden
z. B. Gesetzentwürfe deutscher antifaschistischer Kräfte, die vorsahen,
die „wirklich verantwortlichen Nazis" ohne Rücksicht auf
formale Organisationszugehörigkeiten von den Mitläufern zu trennen
und das seit 1933 angesammelte Kapital verantwortlicher Wirtschaftsunternehmen
endgültig zugunsten der öffentlichen Hand einzuziehen,
von der Besatzungsmacht nicht gebilligt (59 ff.). Ähnlich
verhielten sich die Briten (126).
Im März 1946 übertrugen die Amerikaner mit dem Gesetz Nr. 104
die Verantwortung für die von ihnen angeordneten Maßnahmen auf
deutsche Stellen (69), wodurch in den Augen der nicht demokratisch
aktivierten deutschen Bevölkerung die Entnazifizierung als Ranküne
der Besatzung erschien. Entpolitisierung und Privatisierung der Mitläufer
(222) als Nährboden neuerlicher reaktionärer Massenstimmungen
konnten nicht ausbleiben.
Die spätestens 1947/48 deutlich werdende Zielrichtung der US-
Politik gegen die Sowjetunion mit dem Ausbau der Westzonen zu
einem „Prellbock gegen den Totalitarismus", wozu die überkommenen
Machteliten des Kapitals benötigt wurden, führte zum schnellen
Abschluß der Entnazifizierung, so daß die bereits betroffenen „kleinen
Nazis" schon durch die Spruchkammern bestraft waren, die „aufgesparten"
Hauptverantwortlichen aber die neue Milde genossen
(94 ff.).
Faßten die Franzosen die Entnazifizierung als extreme Dezentralisierung
Deutschlands und bewerteten die Deutschen nach Opportunitätsgründen
und maßen sie an der Bereitschaft zur Zusammenarbeit
mit der Besatzung (42, 134), so war in der britischen Zone die Entnazifizierung
von Anfang an ein individuell-formales Justizverfahren,
so wie es auch der Vorstellung bürgerlicher Politiker entsprach. Die
Forderungen der Linken nach politischer, die Gesellschaftsstruktur
berührender Spruchpraxis blieben damit unberücksichtigt.
Ausführlich behandelt Fürstenau die Divergenzen unter den deutschen
politischen Parteien angesichts der Entnazifizierung (166 ff.), -vor
allem das anfängliche Dominieren der KPD in der antifaschistischen
praktischen Alltagsarbeit (173). Als die Kommunisten sich 1948 aus
der Entnazifizierung zurückzogen, da sie deren Sinn unter den gegebenen
Bedingungen nicht mehr sahen (201), waren sie schon vielfach
aus dieser Arbeit herausgedrängt worden. Wohl am längsten ver-