Klassenkämpfe in der BRD - Instituts für kritische Theorie (InkriT)
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490 Besprechungen<br />
die historistische Konzeption <strong>der</strong> Persönlichkeit notwendig auf. So<br />
s<strong>in</strong>d historische Persönlichkeiten, ausgestattet z. B. mit „religiösem<br />
Genius" (132, 138), Ausgangspunkt <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> europäischen<br />
Nationen (Gregor VII.) o<strong>der</strong> rufen Reformation und frühbürgerliche<br />
Revolution dadurch hervor, daß sie die „Anpassung an die neue Situation"<br />
aus machtpolitischen Ambitionen „vergaßen" (180). Die<br />
,Lehre' aus <strong>der</strong> Geschichte, die Bosl se<strong>in</strong>en Klassengenossen vermitteln<br />
möchte, lautet: „Wer ... sich selber nicht helfen und sich nicht reformieren<br />
kann, ... lenkt die Massen von sich ab auf revolutionäre<br />
Bahnen" (186).<br />
Die enge Verb<strong>in</strong>dung von historisch-politischer Konzeption und<br />
Geschichtsdeutung wird auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Darstellung ostmitteleuropäischer<br />
Geschichte offenkundig. Ausgangspunkt ist hier e<strong>in</strong> <strong>für</strong> den zwischen<br />
Historismus und ,Strukturgeschichte' schwankenden Historiker typischer<br />
Wi<strong>der</strong>spruch. Trägt nach Bosl e<strong>in</strong>erseits „jede Epoche ihr strukturelles<br />
.Gesetz' <strong>in</strong> sich" (89/90; Herv. d. Verf.), so ist die historische<br />
Persönlichkeit hiervon offenbar ausgenommen, denn nur „vom Heute<br />
her" (201; Herv. d. Verf.) sei zu verstehen, welche Bedeutung Otto<br />
d. Gr. <strong>für</strong> die europäische Politik hatte. Der „europagestaltenden<br />
Kraft" Otto's sei es zu verdanken, daß „Ostmitteleuropa auch heute<br />
noch Teil <strong>der</strong> westlich-abendländischen Kulturwelt ist" (203). So s<strong>in</strong>d<br />
„<strong>in</strong> unserem Europabild die Slawen und die an<strong>der</strong>en Völker Ostmitteleuropas<br />
trotz Eisernem Vorhang e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tegrieren<strong>der</strong> und <strong>in</strong>tegrierter<br />
Bestandteil <strong>der</strong> europäischen Welt" (215).<br />
Ist schon die europäische E<strong>in</strong>heit <strong>für</strong> Bosl gegenwärtig nicht so<br />
sehr e<strong>in</strong> politisches als e<strong>in</strong> historisches Problem (270), so stellen se<strong>in</strong>e<br />
Untersuchungen auf folgende ,Lehren' <strong>der</strong> Geschichte ab: zum e<strong>in</strong>en<br />
die Notwendigkeit von Reform- und Integrationsstrategien <strong>in</strong> den<br />
entwickelten kapitalistischen Staaten Westeuropas, zum an<strong>der</strong>en <strong>der</strong><br />
Appell an die geme<strong>in</strong>samen europäischen ,Kulturwerte' gegenüber<br />
den sozialistischen Staaten Ostmitteleuropas.<br />
Der wissenschaftliche Wert von Teilanalysen und -erkenntnissen,<br />
die dieser Band birgt, wird h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> historisch-politischen Konzeption<br />
Bosls nur schwer erkennbar. Dies wird dadurch verstärkt, daß<br />
auf e<strong>in</strong>en wissenschaftlichen Anmerkungsapparat verzichtet wurde,<br />
da <strong>der</strong> Verf. zum großen Teil eigene Forschungsergebnisse zusammengefaßt<br />
haben will. Für den un<strong>in</strong>formierten Leser entfällt so die Möglichkeit,<br />
strittige Probleme <strong>der</strong> Forschung erkennen und <strong>in</strong> <strong>der</strong> entsprechenden<br />
Literatur verfolgen zu können (so z. B. die — von Bosl<br />
relativierte — These vom ,Dienstadel' des frühfränkischen Reiches;<br />
vgl. 42, 49, 53, 92). Stattdessen enthält <strong>der</strong> Band e<strong>in</strong>e Bibliographie<br />
des Verf. Die <strong>in</strong>teressanten E<strong>in</strong>zelforschungen Bosls können <strong>in</strong> den<br />
dort angegebenen Schriften weitaus nutzbr<strong>in</strong>gen<strong>der</strong> rezipiert werden,<br />
als <strong>in</strong> dem vorliegenden Band. Se<strong>in</strong> ,Wert' besteht vor allem <strong>in</strong><br />
dem Versuch, e<strong>in</strong>e historisch-politische Konzeption des gegenwärtigen<br />
Kapitalismus <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Geschichtsbild vom europäischen Mittelalter umzumünzen.<br />
Klaus Naumann (Marburg)