Klassenkämpfe in der BRD - Instituts für kritische Theorie (InkriT)

Literarische Produktion, Phantasie, ästhetische Erziehung 431
Pädagogik begründet werden, mit welchen objektiven wie subjektiven,
Faktoren ist dabei zu rechnen? —, eine Fragestellung, die sich lohnen
dürfte, wenn tatsächlich der Literatur „eine Bedeutung in der Entwicklung
intellektueller wie psychischer Fähigkeiten der Wirklichkeitserfahrung
und -gestaltung" (213) zugesprochen werden kann.
6. Hier läßt sich wieder an die Arbeit von Hodek anknüpfen, der im
Gegensatz zu Warneken einer pädagogischen Fragestellung den theoretischen
Ansatz bietet. Wenn man mit dieser Arbeit die traditionelle
Musikpädagogik „in ihrem objektiven Gehalt als Mechanismus sozialer
Herrschaft versteht, bei welchem musikalische Identifikationsmechanismen
als Kontrolle über das Denken, die Trieb- und Bedürfnisstruktur
der zu sozialisierenden Individuen fungieren" (1025/26), so
können von hier aus die Kritik an der neueren Musikpädagogik und
mögliche Alternativen weiterentwickelt werden, weil in diese Bestimmung
der psychologische Zusammenhang aufgenommen ist, über den
Herrschaft ins Subjekt sich auswirkt, sein „Denken, die Trieb- und
Bedürfnisstruktur" moduliert und damit auch die Funktionsweise
seiner Phantasie unter Kontrolle nimmt.
Daß dieser Vorgang mit einem Funktionswechsel neue Qualität gewann,
wiederholt Hodek im Anschluß an Adorno. „In der Gegenwart
hat die kapitalistische Kulturindustrie (...) Funktionen, die ehemals
der Musikpädagogik zukamen, über die Massenmedien wie Funk,
Film, Fernsehen monopolisiert. Nicht zuletzt kontrolliert und lenkt sie
anhand der sogenannten ,Pop-Kultur' die Ängste und Wünsche der
Menschen weit wirkungsvoller, als es die deutsche Musikbewegung
zwischen den Weltkriegen mit dem .Volkslied' je vermocht hätte"
(1028). — Diese aktuelle Diagnose nun könnte erneut zu Desinteresse
an der von Hodek angeregten Thematik, besonders deren praktischer
Seite führen. Wäre der Funktionswandel, mit dem die Kulturindustrie
den Kunstunterricht abgelöst hat, allein noch zutreffend, so könnte
das Konzept einer emanzipatorisch wirksamen .ästhetischen Erziehung'
im voraus als ohnmächtig eingesehen werden. Weil aber in dieser
Kennzeichnung eines Funktionswechsels, der historisch sprunghaft
vorgestellt wird, die gesellschaftliche Bedeutung von Bildungsinstitutionen
(als deren inhaltlicher Teil auch die .ästhetische Erziehung'
fungieren könnte) überhaupt nicht mehr vorkommt, kann dieser
Kennzeichnung unzulässige Abstraktion vorgeworfen werden. „Ist
es auch illusionär, das gesellschaftliche Herrschaftssystem durch Bildung
allein unterlaufen zu wollen, so ist es auf gefährliche Weise abstrakt,
die gesellschaftliche Bedeutung der Bildungsinstitutionen zu
übersehen." -' Und weiter läßt sich mit Hey dorn entgegnen: „Die Bedeutung
der Bildungsinstitution für die Befreiung des Menschen
wächst mit ihrem zunehmend objektiven Gewicht innerhalb technologischer
Bedingungen." 25 Eine reale Entwicklungstendenz ist damit
angegeben, die negativ selbst in dem Sektor von Bildungsinstitutionen
spürbar geworden ist, der mit .musischer Erziehung' alten Typs vor-
24 Heydorn, a.a.O., S. 127.
25 Heydorn, a.a.O., S. 130.