Klassenkämpfe in der BRD - Instituts für kritische Theorie (InkriT)

402 Kurt Steinhaus
unterprivilegiert. Sie unterliegen zusätzlicher Ausbeutung und Diskriminierung,
oft werden sie als Menschen zweiter Klasse behandelt.
Die Einbeziehung ausländischer Arbeiter und Arbeiterinnen in die
Kämpfe der Arbeiterklasse der BRD ist natürlich ein sehr widerspruchsvoller
und komplizierter Prozeß. Schwierigkeiten — wie sie
sich im Sommer 1973 exemplarisch während des Streiks bei Ford
gezeigt haben — sind hier zunächst unvermeidlich. Diese Schwierigkeiten
sind keineswegs nur sprachlicher Natur: In vielen Betrieben
ist die Scheidelinie zwischen Ausländern und Deutschen zugleich
Scheidelinie zwischen unqualifizierter, schmutziger, schwererer, monotoner
und schlecht bezahlter Arbeit einerseits und qualifizierterer,
wenig schmutziger, weniger schwerer, weniger monotoner und besser
bezahlter Arbeit andererseits. Hinzu kommt, daß das Solidaritätsgefühl
bei den westdeutschen Arbeitern oft noch wenig entwickelt
ist. Wirksam ist auch noch das Gift des Nationalismus und
Chauvinismus, das einer Aktionseinheit der Belegschaften ohne
Rücksicht auf die Nationalität allein nach Klassengesichtspunkten
entgegensteht. Schließlich besteht angesichts dieser Situation immer
die Gefahr, daß ausländische Kollegen von linksopportunistischen
Parolen beeinflußt werden. — Die Erfahrung zeigt jedoch, daß die
ausländischen Arbeiter, wenn sie mit ihren westdeutschen Kollegen
in einer Reihe stehen, in der Regel vorbildliche Kampfentschlossenheit
und Disziplin zeigen. Der Streik im Profilwalzwerk bei Mannesmann,
der ohne die solidarische Haltung der türkischen Kollegen
überhaupt nicht durchführbar gewesen wäre, ist hierfür ein klassisches
Beispiel. Ausdrücklich hervorzuheben ist die große erzieherische
und mobilisierende Funktion, die das Erlebnis der internationalen
Klassensolidarität für alle Beteiligten hat. Ein gutes Beispiel
hierfür ist der Streik bei Pierburg in Neuss.
Auch für die wachsende Einbeziehung von Frauen in die Kämpfe
der Arbeiterklasse gibt es in den letzten Jahren viele Indizien. Zahlreiche
Streiks in metallverarbeitenden Betrieben 1973 wären ohne
das aktive Mitkämpfen der Arbeiterinnen ebensowenig möglich gewesen
wie z. B. die Textilarbeiterstreiks des gleichen Jahres oder
der Streik im öffentlichen Dienst Anfang 1974. Auch die überproportionale
Zunahme der weiblichen Mitgliedschaft in den DGB-Gewerkschaften
weist in die gleiche Richtung.
Auf vielfältige Art zeigt sich so die wachsende Annäherung der
verschiedenen Abteilungen der Arbeiterklasse, ihre Einbeziehung in
den gemeinsamen Kampf. Diese Entwicklungstendenz ist ein wichtiger
Hinweis auf die zunehmende Reife der Arbeiterbewegimg der
Bundesrepublik.
2. Zur Tiefe der Bewegung
Insbesondere bei den Streikkämpfen des Jahres 1973 ist die Entwicklung
neuartiger, im Vergleich zu früher qualitativ weitergehender
Forderungen der Streikenden festzustellen. Man kann daher von
einer wachsenden Tiefe der Bewegung sprechen. Sowohl was die Art
des Zustandekommens als auch was ihren Inhalt angeht, haben die