Klassenkämpfe in der BRD - Instituts für kritische Theorie (InkriT)

482 Besprechungen
liehen Wirklichkeit widmet, ist er doch eigentlich an der konkreten,
psychologisch-pädagogischen Praxis weit mehr interessiert und erweist
sich hier auch in der Tat als kompetenter. Hier wird sein Instrumentarium
Psychoanalyse zu Recht zur Beantwortung und Erhellung
pädagogischer und therapeutischer Fragen herangezogen, in
Gruppen und anderen sozialen Bezügen als (therapeutisches) Hilfsmittel
zur Erkenntnis psychischer Prozesse und zum Erlernen neuer
Verhaltensweisen eingesetzt. Richter geht es vor allem um die Anwendung
psychoanalytischen Wissens nicht mehr allein im klassisch
therapeutischen Bezugsrahmen, sondern gerade in solchen Bereichen,
die bisher häufig ausgespart wurden (so etwa Supervision von sozial
tätigen Gruppen, Familientherapie in Arbeiterfamilien und Randschichtgruppen).
Und hier, in der Aufzeichnung praktischer Schwierigkeiten,
die z. B. im Zusammenhang mit der Arbeit in einem Obdachlosenasyl
auftauchen, wird das Buch informativ und interessant.
Hier geht es nämlich konkret um das Problem: welche Schritte können
getan werden, um die Lebensbedingungen von Ghettobewohnern
zu verändern, und es stellt sich auch für Richter heraus, daß es in
erster Linie um die Verbesserung der ökonomischen Basis gehen muß,
um den Kampf um höhere Sozialzuschüsse, sanitäre Anlagen, Einrichtungen
von Spiel- und Arbeitsplätzen für Kinder etc., und daß die
psychologische Arbeit erst dann sinnvoll einsetzen kann, wenn
solche Minimalbedingungen erfüllt sind. Sicherlich ist aber dann
auch die Beachtung und Handhabung psychologischer Probleme
wichtig: etwa bei der Arbeit mit den häufig emotional schwer gestörten
Kindern, bei der Durchführung von Familientherapie, der
Entwicklung von Selbstbewußtsein und Solidarität unter den Bewohnern,
bei Problemen, die zwischen Mitgliedern der Arbeitsgruppe
entstehen. Gerade aus der recht eindringlichen Beschreibung der
Arbeit in einer Obdachlosensiedlung lassen sich eine Reihe von
nützlichen Hinweisen für ähnliche Projekte entnehmen. Allerdings
verweisen auch dort Richters Interpretationen, gerade, wenn es um
die politische Arbeitsperspektive der Gruppe geht, die Konflikte
meist in psychologisierender Weise zurück in den Bereich der Kommunikation.
Als Psychoanalytiker möchte Richter seine Position in solchen
Gruppen neu definieren: er versucht, Abstand von der traditionellen
Rolle des Distanzierten, Nichtengagierten zu nehmen und möchte
sich selbst als Gruppenmitglied verstehen, das die Zielsetzung der
Gruppe aktiv mitverfolgt, von dem eine explizite gesellschaftspolitische
Einstellung verlangt wird. Daß Richter in vielen Fällen eben
doch nicht .einfaches' Gruppenmitglied, sondern Analytiker ist (und
wohl auch sein muß), wird von ihm und der Gruppe mit Enttäuschung
erfahren.
Zusammenfassend: ein Buch, bei dem der Leser wachsam sein und
mit den anschaulichen und nützlichen Anweisungen für praktisch
psychologisches Handeln die Gefahren einer zugrundeliegenden psychologisierenden
Theorie der gesellschaftlichen Wirklichkeit im Auge
behalten sollte.
Louise Honsberg (Berlin/West)