Klassenkämpfe in der BRD - Instituts für kritische Theorie (InkriT)

Geschichte 493
ger Weise mit den besitzenden Klassen verschmolz und zugleich eine
scharfe Frontstellung gegen die sich langsam entwickelnde Arbeiterbewegung
einnahm, demonstriert er recht anschaulich das Elend der
bürgerlichen Wissenschaft mit seinem lapidaren Hinweis, „auf die
Verwendimg des Begriffes ,Klasse' habe er verzichtet, da er durch
das Marxsche Klassenkampfmodell zu einseitig festgelegt erscheine"
(89). Es ist überhaupt ein Grundzug der Habilitationsschrift, die auf
eine Stärkung des politischen und ökonomischen Potentials des expansiven
deutschen Imperialismus abzielenden Bestrebungen des
Gros der nicht selten bei den Nationalliberalen oder im Flottenverein
organisierten deutschen Beamtenschaft zu vernebeln oder gar
ihre klassen- und berufsspezifischen „Tugenden der Treue, Pflicht
und Gewissenhaftigkeit" in ein helles Licht zu rücken. So interpretiert
Henning etwa die gegenrevolutionäre Rolle der Beamten während
der Novemberrevolution in einem affirmativen Sinne: „Am
stärksten aber trat das Verantwortungsbewußtsein der akademisch
gebildeten Beamten als Diener des Staates in den Tagen des staatlichen
Umbruches im November 1918 und den nachfolgenden Krisenzeiten
hervor, als sie aus der sittlichen Bindung ihres Eides an den
Monarchen gelöst, lediglich aus pflichtbewußter Sorge für das Wohl
der ihrer Verwaltung anvertrauten Bevölkerung auf ihrem Posten
blieben und damit das Chaos verhindern halfen." (306)
Sieht sich der Verfasser auf Grund seines Wissenschaftsverständnisses
auch selbst nicht in der Lage, die Funktion der preußischen Beamtenschaft
als eines wesentlichen Stützpfeilers der feudalkapitalistischen
Ordnung vor dem Hintergrund eines sich expansiv entwickelnden
Kapitalismus präzise zu analysieren, so hat er doch, wenn
auch nach einem völlig unbeweglichen, die politischen Zusammenhänge
eher verschleiernden Schema genügend Materialien zusammengetragen,
die klare Hinweise auf die Ideologie, die sozialen und
wirtschaftlichen Lebensverhältnisse, auf das politisch-moralische
Wertsystem und den Charakter der sozialen Beziehungen der Beamtenschaft
bzw. der Selbständigen zu anderen Klassen, Schichten und
Berufsgruppen geben. Läßt man sich also nicht von dem zu hohe Erwartungen
auslösenden Titel der Schrift täuschen, vermag man aus
ihr durchaus eine ganze Fülle von informativen Fakten für eine theoretisch
stringentere Bearbeitung dieses sozialhistorischen Komplexes
zu ziehen.
Norbert Steinborn (Berlin/West)
Büsch, Otto: Industrialisierung und Geschichtswissenschaft.'
Ein Beitrag zur Thematik und Methodologie
der historischen Industrialisierungsforschung. Colloquium Verlag,
Berlin/West 1969 (65 S., br., 5,80 DM).
Der Vortrag, Habilitationsleistung Büschs, untergliedert sich klar in
fünf Abschnitte, dessen erster die verschiedenen Industriealisierungstheorien
(Wirtschaftliches Wachstum, Stufen, kultureller bzw. sozialer
Wandel, technologische Entwicklung) nennt. Die „Industrielle Revo-