Klassenkämpfe in der BRD - Instituts für kritische Theorie (InkriT)

Entrechtung der ausländischen Arbeiter 419
westlichen Nachkriegsdeutschland auf derartige Verwaltungsmaßnahmen
nicht verzichtet 48 :
— beim Bundesverwaltungsamt in Köln (Abteilung III) besteht ein
Ausländerzentralregister (AZR), das mit Hilfe einer Datenverarbeitungsanlage
(Außenstelle Bonn) Informationen aus Hinweisen
der Verfassungsschutzbehörden speichert und diese bei Anfrage
den Ausländerbehörden der Länder weiterleitet;
— bei den Zentralstellen der Kriminalpolizei wurden besondere
Organisationseinheiten zur Erfassung politischer Aktivitäten von
Ausländern eingerichtet und
— seit Ende 1972 besteht beim Bundesamt für Verfassungsschutz in
Köln eine Abteilung für „Ausländerüberwachung".
Bei den Streiks in der Metallindustrie im Sommer 1973 bewährte
sich denn auch der Überwachungsapparat in den Betrieben und dessen
enge Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen: Mehrere Ausländer
— so beispielsweise bei den Ford-Werken in Köln — wurden
infolge ihrer Teilnahme am Streik entlassen und konnten aufgrund
des Ausländergesetzes (§ 10 [1] Nr. 11) ausgewiesen werden.
Maßnahmen zur Kompensation des ausländischen „Unruhepotentials"
In der Erwartung, jenes durch die schlechten Produktions- und
Reproduktionsbedingungen unter den Ausländern entstandene „soziale
Unruhepotential" kompensieren zu können, wurde am 15. Januar
1972 ein neues Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) verabschiedet,
das nunmehr auch den ausländischen Arbeitern aus Nicht-EG-
Ländern die Möglichkeit bietet, in den Betriebsrat gewählt zu werden
46 . Tatsächlich sind seit Inkrafttreten des BetrVG mehr als 3000
Ausländer in Betriebsräte gewählt worden, und mehr als 10 000 ausländische
Arbeiter gehören dem gewerkschaftlichen Vertrauenskörper
an Der kompensatorische Druck blieb jedoch aus — wie
die spontanen Streiks vom Sommer 1973 zeigen. Er muß ausbleiben,
solange die Entrechtung und soziale Diskriminierung der ausländischen
Arbeiter anhält.
Umfangreiche Maßnahmen des Bundes und der Länder konnten
dem vermeintlichen „Ausländerproblem" nicht Einhalt gebieten:
— In einzelnen Bundesländern und in Westberlin wurden im Auftrag
der zuständigen Behörden Untersuchungen über die vermeintlichen
Infrastrukturbelastungen durch die Ausländerbeschäftigung
durchgeführt,
45 Vgl.: Pätzoldt a.a.O., (hier: Berliner Extra-Dienst Nr. 75/VI, S. 11
und Nr. 77/VI, S. 18).
46 BetrVG vom 15. Januar 1972 (BGBl. I., S. 13) § 8 — das passive
Wahlrecht ist nicht mehr an das Wahlrecht für den Deutschen Bundestag
gebunden. Eine entsprechende Änderung des Personalvertretungsgesetzes
vom 5. August 1955 (BGBl. O., S. 477) steht noch aus.
47 Aus: DGB-Nachrichten-Dienst, 14. Mai 1973.