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Klassenkämpfe in der BRD - Instituts für kritische Theorie (InkriT)

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Sprach- und Literaturwissenschaft 477<br />

(100) <strong>in</strong> Kraus' pharisäerhafter Selbstgerechtigkeit, mit <strong>der</strong> er „überzeitliche<br />

Werte" (101) gegen <strong>in</strong> <strong>der</strong> historischen Situation begründete<br />

Unzulänglichkeiten schriftstellerischen Schaffens bei He<strong>in</strong>e ausspielt.<br />

Und im H<strong>in</strong>blick auf die vielgerühmte prophetische Kraft <strong>der</strong><br />

Kraus'schen Kulturkritik heißt es schließlich: „Alle Kritik wird (...)<br />

im Ansatz schon unverb<strong>in</strong>dlich <strong>für</strong> die Gegenwart, da sie aus dem<br />

sche<strong>in</strong>bar luftleeren Raum e<strong>in</strong>es elitären Bewußtse<strong>in</strong>s kommt, <strong>in</strong><br />

Wahrheit aber auf die restaurativen Leitbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> guten alten Zeit<br />

gebannt ist" (100).<br />

Zu diesen Ergebnissen kommt Verf., <strong>in</strong>dem sie, ausgehend von<br />

Kraus' Polemik gegen He<strong>in</strong>e, die Kunstauffassungen und den Wahrheitsbegriff<br />

bei<strong>der</strong> Schriftsteller im Zusammenhang mit <strong>der</strong>en Zeitbezug<br />

kontrastiert. Zutreffend wird dabei festgestellt, daß die beiden<br />

Schriftsteller „von polaren Denkansätzen" (93) aus ihren Wahrheitsbegriff<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Literatur ausprägen. Aus dem „antithetischen<br />

Weltverständnis" von He<strong>in</strong>e und Kraus den „Gegensatz von dialektischer<br />

und dualistischer Denkweise" (93) abzuleiten, ist allerd<strong>in</strong>gs<br />

e<strong>in</strong>e Behauptung, die leicht über die etwas zu kurz geratene Beschreibung<br />

<strong>der</strong> verschiedenen Pole im Denken von He<strong>in</strong>e und Kraus<br />

h<strong>in</strong>wegtäuscht. So hätte z. B. e<strong>in</strong>gegangen werden müssen auf die<br />

Parte<strong>in</strong>ahme des „freien" Schriftstellers He<strong>in</strong>e (dessen ökonomische<br />

Existenz von habgierigen Verlegern und politischer Zensur ständig<br />

verunsichert wurde) <strong>für</strong> den französischen Frühsozialismus: „(...)<br />

Mag sie zerbrochen werden, diese alte Welt, wo die Unschuld zugrunde<br />

g<strong>in</strong>g, wo die Selbstsucht gedieh, wo <strong>der</strong> Mensch vom Menschen<br />

ausgebeutet wurde (...)! Die Kommunisten, es ist wahr, besitzen<br />

ke<strong>in</strong>e Religion (...), aber <strong>in</strong> ihren obersten Pr<strong>in</strong>zipien huldigen<br />

sie (...) e<strong>in</strong>er auf Gleichheit beruhenden Verbrü<strong>der</strong>ung aller Menschen,<br />

freier Bürger dieses Erdballs." (Vorwort zu „Lutetia", Paris,<br />

März 1855. H. He<strong>in</strong>e. Sämtliche Werke Bd. XI, S. 338. München 1964.)<br />

— Kraus ist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Reflexionen über die Gesellschaftsordnung<br />

deutlich h<strong>in</strong>ter He<strong>in</strong>e zurückgeblieben: Kommunismus war ihm e<strong>in</strong>e<br />

heilsame Drohung <strong>für</strong> die Bürgerwelt, nicht aber e<strong>in</strong>e Alternative.<br />

Für e<strong>in</strong> „ursprüngliches" Leben aus dem Geist und unversehrter<br />

Sexualität (vgl. „Fackel", Nr. 890, S. 182), <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e Lebensgestaltung,<br />

die losgelöst war von gesellschaftlichen Wi<strong>der</strong>sprüchen, trat <strong>der</strong><br />

Fabrikantensohn Kraus e<strong>in</strong>, <strong>der</strong> mit e<strong>in</strong>er ansehnlichen Rente aus<br />

dem Vermögen se<strong>in</strong>es Vaters sich und <strong>der</strong> von ihm herausgegebenen<br />

Zeitschrift „Die Fackel" e<strong>in</strong> sicheres Dase<strong>in</strong> verschaffte.<br />

Die Ausgangssituation des wohlbehüteten Großbürgers Kraus,<br />

dessen Erlebniswelt bestimmt war durch die Idylle des elterlichen<br />

Landhauses, das Wiener Burgtheater und das Literaten-Café Griensteidl<br />

— während im gesellschaftlichen Umbruch vom Konkurrenzkapitalismus<br />

zum Monopolkapitalismus Südosteuropa de facto zur<br />

Kolonie Deutschösterreichs degradiert wurde —, das alles hätte bei<br />

e<strong>in</strong>er literatursoziologischen Analyse von Kraus' Weltverständnis<br />

berücksichtigt werden müssen. Es ist <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e sich historisch verstehende<br />

Untersuchung nicht ausreichend, wenn zu dem Thema<br />

„Literarische und historisch-gesellschaftliche Situation <strong>in</strong> Wien um

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