Ganske_Lauf9.indd 1 01.11.2005 14:54:40 Uhr - Ganske ...

In Hohenhaus geht es ruhiger zu. Kurt Ganske ist gern für
sich, wandert zur Mooshütte, von dort ist über den Höhenzügen
die Wartburg zu sehen. Er klettert gern abends auf den Hochsitz,
bleibt bis zum Einbruch der Nacht. Oder er geht morgens um
vier zur Jagd. Er liebt die frühen Stunden. Dann liegt der Tau auf
den Gräsern, kommt das Wild aus dem Wald. Er blickt den Bussarden
nach, die nach Thüringen fl iegen. Die Grenze zur DDR
ist die Grenze seines Reviers – die Straße von Herleshausen nach
Lauchröden ist unterbrochen, die Brücke über die Werra endet
in Sperranlagen. Die Fenster der Häuser an der Lindenallee auf
der anderen Seite sind zugemauert, und auf dem Wachturm der
Volkspolizei kann er die Ferngläser erkennen. Todesstreifen, Minengürtel,
Stacheldraht. Kurt Ganske versäumt es nie, seinen
Besuchern die Grenze zu zeigen. Die klaffende Wunde im Wald.
Er empfi ndet sie als chronischen Schmerz. Manchmal explodiert
eine Mine; ein Reh stirbt, ein Hirsch, eine Sau. Deutsche Realität
– pervers, aber perfekt.
Die Wende hat Kurt Ganske nicht mehr erlebt, als die Bürger
von Lauchröden den Wachturm mit Gejohle zum Einsturz brachten.
Die Handwerker von Herleshausen und Lauchröden haben
nur zwei Tage gebraucht, um eine Brücke über den Fluss zu bauen.
Die Grenze fi el, aber die Stille blieb. Das Zonenrandgebiet wird
Randzonengebiet, bleibt im Abseits, mittendrin.
Kurt Ganske liebt seinen Wald. Nach über vierzig Jahren kennt
er jeden Baum. 1936, als er Hohenhaus erwarb, hatte er keine
Ahnung, was er eigentlich gekauft hatte. Der Vorbesitzer hatte alle
Unterlagen und alle Dokumente verbrannt. Ein junger Forstassessor
half dem ratlosen Käufer, den Bestand zu registrieren und den
Wald aufzubauen. Als Oberforstrat bleibt er bis zu seiner Pensionierung;
ein Glücksfall für den Wald und für Kurt Ganske. Waldes
Lust ist Waldes Last. Wer einen großen Wald erwirbt, besitzt
ein großes Vermögen, aber wenn er sonst kein Einkommen hat,
sollte er sich auf ein bescheidenes Leben einrichten. Kurt Ganske
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