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ziehen. Weil in jüdischen Haushalten nur ältere Hausangestellte<br />
arbeiten dürfen, muss sie ihr Personal entlassen. Das Ehepaar<br />
darf nur noch eine alte Köchin behalten, die es nicht schafft, den<br />
großen Haushalt in Dahlem allein zu versorgen.<br />
Berlin hat sich verändert. Die sprichwörtliche Berliner Luft<br />
verliert ihr leichtsinniges Flair, wird stickig, aus der Gosse weht<br />
ein fauliger Geruch, der nichts Gutes verheißt. Rollkommandos<br />
sprengen Parteiversammlungen, organisierte Jugendbanden<br />
marschieren im Gleichschritt, grölen Lieder und Parolen. Kommunisten<br />
und Nationalsozialisten liefern sich Straßenschlachten,<br />
Braunhemden jagen verängstigte Bürger wie Freiwild durch die<br />
Straßen, schmieren, pöbeln, schießen. Saalschlachten sind an der<br />
Tagesordnung. Der Schock der Weltwirtschaftskrise sitzt tief. Er<br />
hat nicht nur viele Existenzen zerstört, sondern auch das Vertrauen<br />
der Menschen in die ständig wechselnden Regierungen. Sieben<br />
Millionen Arbeitslose stehen Schlange vor den Arbeitsämtern<br />
und vor den Suppenküchen, Bettler lungern in den Parks.<br />
Heinrich Brüning, im Frühjahr 1930 zum Reichskanzler gewählt,<br />
kürzt den Staatshaushalt mit eiserner Hand, zwingt alle,<br />
Bürger und Bauern, die Wirtschaft und die Industrie, den Gürtel<br />
enger zu schnallen, was ihn nicht unbedingt beliebter macht. Unnachsichtig<br />
und unbeirrbar steuert er seinen Sparkurs und greift<br />
zu dem riskantesten, wenn auch wirkungsvollsten Instrument, das<br />
ihm die Verfassung der Weimarer Republik in die Hand gegeben<br />
hat. Er regiert per Notverordnung und greift damit tief ins private<br />
Wirtschaftsgefüge ein. Er setzt Zinsen und Preise herunter, aber<br />
auch Löhne, Gehälter und Pensionen. Er kürzt soziale Leistungen,<br />
zieht die Schraube in neuen Verordnungen weiter an. Der harte<br />
Griff lähmt die Konjunktur, schwächt die Wirtschaft und stärkt<br />
seine Widersacher. Bei den Reichstagswahlen am <strong>14</strong>. September<br />
1930 werden die Nationalsozialisten, bisher eine Splittergruppe<br />
am äußersten rechten Rand, auf Anhieb zur zweitstärksten Partei<br />
und kommen von zwölf auf 107 Mandate.<br />
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