Die Internationale I.A.A. V 0.2
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BORGHI: KAMPF GEGEN DIE INTERNATIONALE REAKTION 31<br />
morgen wieder ihren Wert besitzen, die uns aber heute nicht als Wegweiser dienen<br />
können? Meine Antwort ist: Nein! Das hieße einfach anerkennen, daß unsere Ideen<br />
überhaupt keinen Wert haben, auch nicht in normalen Zeiten, denn der Wert oder<br />
Unwert einer Idee zeigt sich erst in jenen schwierigen Momenten, wenn die allgemeine<br />
Lage eine praktische Anwendung derselben erheischt. Befragt etwa der Seemann im<br />
Sturme nicht den Kompaß? Und sind unsere Ideen nicht gerade aus den Erfahrungen<br />
früherer revolutionärer Krisen hervorgegangen? War es nicht nach 1848, nach den<br />
Enttäuschungen, welche die Erfahrungen der revolutionären Versuche jener Zeit nach<br />
sich zogen, daß Proudhon das große Wort „Anarchie" gebrauchte? Ist es nicht infolge<br />
der furchtbaren Erfahrungen, die alle Kriege bisher den Völkern gebracht haben, daß<br />
unsere Ideen gegen den Krieg gerichtet sind?<br />
Ich will damit nicht sagen, daß wir in jedem Moment des sozialen Kampfes dieselben<br />
Dinge fordern werden. Als wir seinerzeit in Italien die Betriebe in Besitz nahmen,<br />
dachten wir natürlich nicht daran, politische Freiheiten zu fordern. Wir dachten vielmehr<br />
nur daran, vorwärts zu marschieren, der Revolution entgegen. Unsere Parole<br />
lautet auch heute, wie stets: immer vorwärts, demselben Ziel entgegen; nichtsdestoweniger<br />
aber müssen wir anerkennen, daß die Wiedereroberung der Freiheiten, die<br />
man uns geraubt, für uns heute einen großen Schritt vorwärts bedeutet.<br />
Das verhindert uns durchaus nicht, anzuerkennen, daß unsere Ideen für uns nicht<br />
bloß die Bedeutung eines Endzieles haben, sondern, daß sie auch eine bestimmte „Methode"<br />
repräsentieren, eine Methode, die andere Methoden „ausschließt", nicht aus<br />
abstraktem Doktrinarismus, der kein wahres Leben in sich hat, sondern, weil sich in<br />
dieser Methode die gesammelten Erfahrungen aus der Geschichte verkörpern. Mit<br />
anderen Worten meint das, daß unsere Ideen das Ergebnis erworbener Tatsachen darstellen,<br />
und es wäre nur verlorene Zeit, dieselben heute außer Kraft zu setzen, um<br />
morgen wieder zum selben Ausgangspunkt zurückzukehren.<br />
Kein Moratorium also für unsere Ideen! Wir haben das kennen gelernt während<br />
des Krieges und die Geschichte selbst hat uns ge2eigt, daß jede auch nur zeitweilige<br />
Außerkraftsetzung bestimmter Ideen noch stets ein Betrug gewesen ist. Nichts wirkt<br />
permanenter wie das sogenannte Provisorium im Reiche der Ideen.<br />
Es ist also notwendig, auch für uns, jene Freiheiten zu fordern und zu verteidigen,<br />
welche frühere Revolutionen uns gebracht haben, allein wir müssen sie verteidigen,<br />
ohne das Gebiet unserer Ideen und Methoden zu verlassen- Und dies nicht bloß in<br />
bezug auf die Absichten, die wir verfolgen — mit Absichten ist man auch ins Pariament<br />
und in den Krieg gezogen — sondern auch in bezug auf die Tatsachen selbst.<br />
Daraus folgt in erster Linie, daß wir jedes Bündnis, jedes Blockverhältnis ablehnen<br />
müssen. Auf gesetzlichem Gebiete oder soweit die moralische Opposition in Betracht<br />
kommt, mag die bürgerliche Demokratie in den vom Faschismus erfaßten Ländern tun,<br />
was ihr gut dünkt. Sie mag dabei die sozialistischen Reformparteien mit ins Schlepptau<br />
nehmen. Wenn sie imstande ist, dem Faschismus moralisch etwas am Zeug zu flicken,<br />
um so besser. Wir werden es zu nützen verstehen. Auf dem Gebiete der Empörung<br />
ist keine Täuschung mehr möglich. <strong>Die</strong> Bourgeoisie kann nicht mehr zum Jahre 1848<br />
zurückkehren. <strong>Die</strong>s anzunehmen, wäre ein großer Irrtum. <strong>Die</strong> letzten Erfahrungen<br />
unserer Kameraden in Vera (Spanien) und Italien sprechen eine so beredte Sprache, daß<br />
man sie schlechterdings nicht mißverstehen kann. Es käme höchstens noch die Frage<br />
eines bewaffneten Aufstands in Betracht, die unsere Genossen täuschen könnte. Denn<br />
unter ihnen macht sich sehr deutlich die Einstellung für eine gewaltsame revolutionäre<br />
Aktion bemerkbar. Und grade aus diesem Grunde ist es notwendig, ihr Augenmerk<br />
auf die letzten Ereignisse zu lenken. Man kann das tragische Ende unserer Genossen<br />
in Vera nicht vergessen. <strong>Die</strong> spanische Demokratie hat sich dabei die Hände gewaschen,<br />
und die rote französische Regierung leistete der spanischen Polizei Helfersdienste. Sie<br />
hat die heroischen Kameraden, welche zusammen mit den Insurgenten von Vera<br />
wirken wollten, verurteilt und ausgewiesen. <strong>Die</strong>selbe Erscheinung macht sich bei den<br />
italienischen Revolutionären im Ausland bemerkbar, wo man die Illusion verbreitet hat,<br />
daß es möglich sei, mit bewaffneter Hand der Demokratie zu Hilfe zu kommen. Es ist<br />
unmöglich, sich in dieser Weise zu täuschen, wenn man die Dinge kritisch vom Standpunkte<br />
unserer Ideen aus beurteilt.<br />
Mehr noch, als eine Folge dieser Illusionen und der Beziehungen, die sich daraus<br />
ergeben, verliert sich die Klarheit der politischen Stellung; eine Stimmung der Kompro-