Die Internationale I.A.A. V 0.2

Die dänische Arbeiterbewegung unter sozialdemokratischen Fittichen 35
krücken bewegen kann; die gesamte Arbeiterklasse ist in die Staatsversorgung
untergetaucht, ohne zu verstehen, daß sie zu guter Letzt diese Versorgung
selbst bezahlen muß, und daß diese jedes Selbständigkeitsgefühl in ihnen
ertötet. Der Begriff der Selbstorganisation ist unbekannt, und dabei liegt
doch die Grundlage der Arbeit eines Menschen in dem Satze: Sei deines
eigenen Glückes Schmied! Statt dessen haben wir aber eine Ueberorganisation
bekommen; das Prinzip ist: die anderen werden mir helfen, und zuletzt versinkt
alles in den großen Zwangsorganisationen: Staat, zentralistische Gewerkschaften,
wobei die Persönlichkeit unterdrückt, die Gedanken uniformiert,
die Arbeiter zu Soldaten und der Fortschritt zu einem Kommando
vom großen Generalstab herabgewürdigt wird, der gerade durch den Sozias
lismus abgeschafft werden sollte. Die Grundidee der französischen Revolution
von 1789 war die Dezentralisation; die deutsche Revolution 1918 endete in
dem alten Zentralisationsgedanken: — Mein Vaterland muß größer sein! Wir
aber müssen uns vom Staate entfernen und zur Gemeinde zurück. Bismarcks
Wahlspruch: Ich diene!, war Heuchelei für: Ich herrsche! Wenn der Sozialismus
jemals in anderer Form als in seiner schlimmsten Art: dem sozialistischen
Staat, Lenins Staat, Eberts Staat, Mussolinis Staat verwirklicht werden soll,
dann kann dies nur geschehen durch die Abschaffung des Staates. Diesen
Schritt aber sind die dänischen Arbeiter zur Zeit nicht imstande zu tun, denn
sie sind die Schüler der Germanen.
Nach dem Hauptorgan der dänischen Sozialdemokratie, „Sozialdemokraten"
von Kopenhagen, ging die dänische Arbeiterschaft im letzten Jahre
von Sieg zu Sieg. Die Sozialdemokraten machen sich die Sache sehr leicht,
sie bilden sich ein, siegreich zu sein, und das nehmen die Arbeiter für bare
Münze auf. Und da die Sozialdemokratie zurzeit sowohl mit der bürgerlichen
„radikalen Partei", die ihr zur Regierung verholfen hat, als auch mit der
bürgerlichen Linkspartei, die ihr zum Valutagesetz verhalf, in eine Koalition
eingetreten ist, geht es ihr wie dem großen Unbekannten (dem Geist des
Akkordes) im Henrik Ibsenschen Peer Gynt:
„Das große Unbekannte erringt alles ohne Beschwerden,
das große Unbekannte erringt alles, ohne zu kämpfen!"
Bei den Verhandlungen, die zwischen Unternehmern und Arbeitern über
die Tarifabkommen geführt werden, ist es aber schwierig, die Illusion aufrechtzuerhalten,
daß die Proletarier in einer förmlichen Siegesallee vorwärts
spazieren. Das Ergebnis wird in der Regel bescheiden „Abkommen" genannt,
das sich nur im Rahmen des Schiedsverfahrens laut Gesetz von 1899 bewegt,
außerdem ist die Arbeitslosigkeit außerordentlich groß. Allerdings sind die
Löhne hier im allgemeinen höher als in Deutschland; seit aber der „Sozialismus"
in Form der sozialdemokratischen Bewegung auf der Bildfläche erschien,
sind die Löhne sogar zurückgegangen. Und das stimmt mit den Grundlagen
der heutigen Gesellschaftsordnung überein: die Arbeiterklasse hat gerade
soviel, um das nackte Leben aufrechtzuerhalten. Unsere Sozialdemokraten
sind Reaktionäre. Rothschild aus Frankfurt sagte einmal, als das Gespräch
auf den Weltuntergang kam: „Ich will mich in diesem Falle nach Cassel
zurückziehen, dort ist man in jeder Hinsicht um ein halbes Jahrhundert rückständiger
als andererorts." Er hätte Kopenhagen setzen können. Hier sind
wir immer im Nachschub der Deutschen gelaufen, und jetzt warten wir wieder
auf Berlin und auf die 50 Jahre Zugabe....