Die Internationale I.A.A. V 0.2
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148 PORTUGAL<br />
Nur so werden wir das portugiesische Proletariat<br />
und seinen Freiheitsdrang verstehen<br />
lernen.<br />
Unsere Entwicklung hat keinen allzu<br />
tiefen Ursprung. Wären die Bedingungen<br />
besser, dann ließe sich auch mehr tun, jedoch<br />
bei einer Bevölkerung, die 75 Prozent<br />
Analphabeten zählt, ist es schwer<br />
möglich, die Ziele unserer Bestrebungen<br />
allzuweit zu stecken-<br />
<strong>Die</strong>se Lage hält die Arbeiterklasse nieder<br />
und macht es der Bourgeoisie, die sich<br />
der wirtschaftlichen und moralischen Gesellschaftsentwicklung<br />
nicht bewußt ist,<br />
möglich, eine Gewaltherrschaft aufrecht<br />
und das Proletariat in Abhängigkeit zu<br />
erhalten. Dabei besitzt die Bourgeoisie<br />
selbst nicht die Fähigkeiten, die wirtschaftlichen<br />
Kräfte und Reichtümer des<br />
Landes gehörig und rationell zu organisieren,<br />
sie wendet alle ihre Macht nur zu<br />
dem Zwecke an, dem Proletariat eine<br />
schwere Ausbeutung aufzuzwingen, während<br />
die natürlichen Reichtümer und<br />
Quellen des Landes unbenutzt bleiben<br />
und das Land verarmt.<br />
Das sind aber nicht die einzigen traurigen<br />
Ergebnisse der Unfähigkeit der<br />
Bourgeoisie. Bedroht von der ausländischen<br />
Konkurrenz und Industrie, die weit<br />
fortgeschrittener ist, sucht sich die portugiesische<br />
Industrie nicht durch Verbesserung<br />
und Entwicklung ihrer Industrie zu<br />
helfen, sondern indem sie Zollgrenzen errichtet,<br />
wodurch das Volk in einen Kreislauf<br />
wirtschaftlicher Stagnation hineinkommt,<br />
der zwar der Bourgeoisie zum<br />
Nutzen, dem werktätigen Volke jedoch<br />
zum Schaden gereicht.<br />
Auf diese Weise kam die allgemeine<br />
wirtschaftliche Lage des Landes in einen<br />
Zustand der Günstlingswirtschaft, der<br />
zwar an der Oberfläche geordnet erscheint,<br />
in Wirklichkeit aber vollständig fiktiv ist.<br />
Portugal ist in seiner ganzen Länge vom<br />
Atlantischen Meere umspült und wird<br />
wesentlich als Agrarland betrachtet. Trotzdem<br />
aber gibt es zahlreiche Gaue, die<br />
unbebaut sind, und die Getreideernte<br />
reicht nur für einen Verbrauch von<br />
5 Monaten. Eine Unzahl von kleinen und<br />
größeren Flüssen durchquert das Land,<br />
und an den Ufern dieser Flüsse ist der<br />
Boden für eine äußerst fruchtbare Kultur<br />
geeignet. Und dennoch werden fast die<br />
gesamten Lebensmittel, die im Lande verbraucht<br />
werden, eingeführt, und die Industrie<br />
ist nur in Gang zu halten, wenn<br />
Rohstoffe und Werkzeuge eingeführt<br />
werden. Dazu kommt noch, daß Verkehrs-<br />
wege und Eisenbahnlinien nur ungenügend<br />
vorhanden sind, die Häfen und die<br />
Handelsmarine sind in einem beklagenswerten<br />
Zustande.<br />
Auf finanziellem Gebiete ist die Lage<br />
ebenso darnieder. Man lebt von Krediten,<br />
die zum größten Teil von England gegeben<br />
werden, das dadurch profitiert und das<br />
Land als seinen Vasallen betrachtet. Das<br />
werktätige Volk begreift zwar, daß es in<br />
einem chaotischen Zustande lebt, da es<br />
sich aber in Unwissenheit befindet, und<br />
da es selbst keinen Ausweg aus diesem<br />
Chaos weiß, hat es sein Selbstbewußtsein<br />
noch nicht in einer genügend starken Organisation<br />
zum Ausdruck gebracht, die<br />
die Lebensbedingungen zu verbessern und<br />
zu heben in der Lage wäre.<br />
Aus all diesen Gründen sind die klassenbewußten<br />
proletarischen Kämpfer nicht<br />
sehr zahlreich, und sie verfügen nicht über<br />
eine Kultur, die notwendig ist, damit das<br />
Werk, das unsere Organisation sich vorgenommen<br />
hat, vollendet werden kann.<br />
<strong>Die</strong> Avantgarde des Proletariats hat sich<br />
indes von der Unzulänglichkeit, in der sich<br />
das Proletariat im allgemeinen befindet,<br />
überzeugt, und ist sich klar darüber, daß<br />
hierin ein Hindernis für die syndikalistische<br />
Organisation und die Wirtschaftliche<br />
wie moralische Verbesserung der<br />
Arbeiterklasse liegt. <strong>Die</strong> revolutionären,<br />
klassenbewußten Elemente sind sich klar<br />
darüber, daß gegen derartige Anomalien<br />
angekämpft werden muß, und sie wenden<br />
alle ihre Kräfte auf und scheuen keine<br />
Opfer, um die Widerstände zu überwinden.<br />
Es soll hier gezeigt werden, wie wir<br />
in Portugal den Kampf aufnehmen, vorher<br />
ist es aber notwendig, die Arbeiterbewegung<br />
Portugals ein wenig zu beleuchten,<br />
da die opportunistischen Strömungen,<br />
die zur Zeit in der Arbeiterbewegung anderer<br />
Länder vorhanden, auch in Portugal<br />
nicht fremd sind.<br />
<strong>Die</strong> Arbeiterbewegung Portugals zur Zeit<br />
der I. <strong>Internationale</strong>.<br />
Als die I. <strong>Internationale</strong> gebildet wurde,<br />
bestand in Portugal — schon seit 1832 —<br />
eine Arbeiterbewegung. <strong>Die</strong> Tätigkeit<br />
dieser Bewegung war freilich noch sehr<br />
primitiv, demokratisch-liberal, mutualistisch<br />
und später beruflich, und auf diese<br />
Weise ging es weiter fast ohne jede<br />
weitere Beeinflussung bis zur Zeit der<br />
Pariser Kommune. Von dieser Zeit ab<br />
und anläßlich der Revolution in Paris<br />
wurde die Bewegung mutiger. 1872<br />
kamen nach Portugal die spanischen