Die Internationale I.A.A. V 0.2

140 MEXIKO: DAS LANDPROBLEM
genommen. Bewaffnete Banden bewachten
das Eroberte, entwarfen die Umrisse der
neuen Dörfer und proklamierten den
Sieg ihres Losungsrufes: „Freiheit und
Land!" Eine neue Partei erhob sich jedoch,
die die Errichtung einer „Revolutionären
Arbeiter- und Bauernregierung,"
forderte, die eine denkbar breite Gesetzgebung,
um das Recht auf den Boden zu
garantieren, schaffen sollte. Die bürgerlichen
und militärischen Führer der neuen
Partei waren zu jeder Konzession bereit,
um die Kontrolle über die umstürzlerischen
Elemente zu bekommen. Ein
Theoretiker der neuen Partei stellte die
Situation derselben in jener Zeit folgendermaßen
dar: „Einige Führer und provisorische
Regierungsmänner erließen vorläufig
einige Agrarreformen; andere okkupierten
großen Haziendas und gaben vor,
dieselben parzellieren zu wollen; noch
andere studierten die Form der Expropriation
und okkupierten vorläufig einige
Latifundien; einige Dorfbevölkerungen
wurden bei den militärischen Befehlshabern
vorstellig und baten, daß man
ihnen die besetzten Ländereien übergeben
solle; in gewissen Staaten wurden Gesetze
geschaffen, die einen Mindestlohn
festlegten und die Peone schuldenfrei erklärten.
Gleichzeitig wurde der Achtstundentag
eingeführt und besondere
Strafen für den Besitzer, der seine Peone
schlägt; kurz: man erließ alle möglichen
Gesetze, so verschiedenartig wie die
Fähigkeit und Ernsthaftigkeit des Führers
war, der in der Gegend regierte."
Nur im Süden der Republik hielt der
Zapatismus seinen Plan von Ayala aufrecht;
Carranza, der Führer der neuen
Partei, anerkannte den Zapatismus und
vor allen die revolutionären Formierungen,
die sich im Norden des Landes ihre
Unabhängigkeit bewahrten; er hielt es für
notwendig, sein Programm zu erweitern
und die größten Konzcssionen zu machen,
um dadurch die Unterordnung der verschiedenen
Gruppen unter seine Partei
zu garantieren; die wirtschaftlichen Forderungen
verschiedener Gegenden zuzusammenfassend,
sogar die allerweitest
gehenden, gelang es ihm, ein Einheitsprogramm
aufzustellen, eine Art „ländlicher
Wiedergutmachung", die nicht nur
die Landarbeiter beschützte, sondern auch
die Kämpfer der Partei, vor allem die
Anführer der bewaffneten Gruppen;cr ging
darauf hinaus, die neue Kaste, die sich
bildete, zu bevorzugen, genau wie in der
Zeit des Porfirismus. der das "revolutio-
näre" Gesetz schuf im Gegensatz zu dem
reaktionären „Gesetz über unbewohnte
Ländereien". So kam es zu dem Gesetz
des 6. Januar 1915, das bis zum heutigen
Tage den Ausgangspunkt für die revolutionär-sozialistisch-agrarische
Gesetzgebung
geblieben ist.
Die herrschende Partei versetzte dem Zapatismus
mit diesem Gesetz einen schweren
Schlag, denn sie erweiterte die Versprechungen,
„realisierte" die Forderungen
der Revolution und hatte viel weiter
gehende Schlußfolgerungen, auch bemühte
sie sich um die Bildung einer freiheitlichen
Bewegung; sie vermengte eigene
und fremde Ideen, und der Losungsschrei
von Carranza bei seiner Ankunft in Veracruz,
„die soziale Revolution ist gekommen",
war dazu angetan, die Herzen sowohl
des Land- wie des Stadtproletariats
zu erobern.
Wir wollen hier einige der Hauptsätze
aus der Einführung zum Gesetz des
6. Januar zitieren:
„Eine der Hauptursachen des Niederganges
und der Unzufriedenheit der
Landbevölkerung ist der Raub des kommunalen
Grundeigentumes gewesen, die
Aufteilung desselben, welche die Kolonialregierung
zugelassen hat als Mittel, die
Existenz der Eingeborenen zu sichern.
Man findet in allen Teilen der Republik
Bevölkerungsschichten, die sich
zu sogenannten Brüderschaften, Kommunen
oder Siedlungen zusammengeschlossen
haben, welche ihren Ursprung
in irgendeiner oder in einigen Familien
haben, die mehr oder weniger große Ländereien
im gemeinsamen Besitz hatten,
welche sie verschiedene Generationen
hindurch aufrechterhielten; oder andere
Teile der Einwohnerschaft ließen sich,
einer alten und allgemeinen Sitte folgend,
an günstigen Orten, um gemeinsame
Wasserplätze herum, nieder.
Nachdem die eingeborenen Dorfbewohnerschaften
ihrer Länder, Wasserplätze
und Berge beraubt worden sind und der
ländliche Besitz des restlichen Landes in
wenigen Händen konzentriert war, blieb
der großen Masse der Landbevölkerung
kein anderer Ausweg offen, wie ihre Arbeitskraft
zu niedrigem Preise an die
Großgrundbesitzer zu verkaufen, was als
unausbleibliche Folge einen Zustand des
Elends, des Niedergangs und der Sklaverei
nach sich zog, in welchem diese ungeheure
Masse von Arbeitern lebte und
heute noch lebt."