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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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in den folgenden Jahren als durchschnittliche Schülerin mit zumeist befriedigenden<br />

und guten Leistungen, jedoch niemals sehr guten Leistungen in den Hauptfächern.<br />

Sie weist darauf hin, dass sie niemals gefährdet gewesen war, sitzen zu<br />

bleiben. Ihre Einstellung zur Schule charakterisiert sie mit den folgenden Worten:<br />

“Schule hat mich eigentlich nicht interessiert. In Sport und Kunst, den beiden<br />

Fächern, die mir Spaß gemacht haben und in denen ich sehr gut war, flog<br />

mir alles zu. In Sport bin ich einfach begabt gewesen (Ballgefühl) und Kunst ist<br />

subjektiv. Ich konnte also nichts dafür, dass ich in diesen Fächern gut war. Stolz<br />

konnte ich auf mich deswegen jedenfalls nicht sein.”<br />

In der 10. Klasse stellt sich Anna die Frage, ob sie die Oberstufe auf einem<br />

anderen Gymnasium absolvieren soll, um dadurch ihren Abiturdurchschnitt zu<br />

verbessern. Letztlich entscheidet sie sich jedoch gegen einen Schulwechsel:<br />

“Man sieht, dass es viele um einen herum nicht schaffen, erst schlecht sind und<br />

dann abspringen. Von den 200 Schülern, die mit mir in der fünften Klasse angefangen<br />

haben, haben später 120 das Abitur gemacht. Das ist eine natürliche<br />

Auslese, sozusagen. Da habe ich mir gesagt, denen werde ich es schon zeigen.”<br />

Anna macht schließlich ihr Abitur unter der “schweren Bedingung” und fühlt<br />

sich danach erleichtert. Mit der “allgemeinen Hochschulreife” wird ihr gleichsam<br />

bewusst, dass “jetzt der Ernst des Lebens” anfängt: “Ich merkte, dass mein<br />

Leben von nun an in meinen eigenen Händen liegen wird, dass ich jetzt für mich<br />

selbst verantwortlich sein muss.”<br />

Anna sieht sich vor die Entscheidung gestellt, eine Ausbildung für sich zu<br />

wählen: “Es gab viele Möglichkeiten, was ich hätte machen können. Ich habe<br />

mich für das kleinste Übel entschieden. Von keinem Studienfach wusste ich, was<br />

ich mit ihm später genau anfangen möchte. Ich habe Pädagogik gewählt, weil<br />

ich mich dann noch später entscheiden kann, in welche Richtung ich gehe, und<br />

weil das Fach etwas mit Menschen zu tun hat.”<br />

Anna bewirbt sich nach ihrem Entschluss an verschiedenen Pädagogischen<br />

Hochschulen im ganzen Bundesgebiet und erhält mehrere Zusagen. Sie entscheidet<br />

sich für die Pädagogische Hochschule in Freiburg und beginnt dort im WS<br />

96/97 ihr Pädagogikstudium. Bezüglich ihres Entschlusses die Heimatstadt und<br />

das Elternhaus zu verlassen sagt sie folgendes: “Ich bin nicht von zu Hause<br />

weggegangen, weil es dort schrecklich gewesen ist, im Gegenteil. Aber irgendwann<br />

muss man den Sprung in das kalte Wasser wagen und alleine leben. Ich<br />

glaube, dass man daran nicht zugrunde geht, sondern wächst. Ich wollte nicht so<br />

lange warten wie mein Bruder, der erst jetzt nach seinem ersten juristischen<br />

Staatsexamen ausgezogen ist.”<br />

Ihre ersten beiden Semester schildert sie als Zeit der Neuorientierung und der<br />

persönlichen Umstellung auf die veränderte Lebenssituation. Anna bezieht<br />

zunächst zur Zwischenmiete die Wohnung eines Mannes, der sich im Ausland<br />

aufhält. Sie wohnt das erste Mal in ihrem Leben ganz allein und fühlt sich oft ein-<br />

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