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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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stehender Wissensbestände, sondern Bearbeitungen, in denen retrospektiv<br />

gedeutet und ein neuer Rahmen für Strukturen der Erfahrung gebildet wird.<br />

“Erzählungen sind Formen der Erfahrungsverarbeitung, die zugleich der Erfahrungsübermittlung<br />

dienen” (S. 57). Zitiert wird auch der Skript-Ansatz. Skripte<br />

sind Schemata, die den Ablauf von Tätigkeiten leiten, aber auch das Verstehen<br />

von sprachlichen Äußerungen (siehe Kapitel 12). Ein häufig zitiertes Beispiel ist<br />

das Verhalten in einem Restaurant in mehreren Szenen mit Requisiten, Rollen,<br />

Eingangsbedingungen und Resultaten (Restaurant-Skript von Schank &<br />

Abelson, 1977).<br />

Wichtige Perspektiven einer Erzählung sind: die Re-Inszenierung des Ereignisses<br />

in der Erzählsituation; die Perspektive der Ereignisbeteiligung und die<br />

Perspektive der Ereignisverarbeitung. Der Erzählaufbau reicht von der Einleitung<br />

über den Erzählkern bis zur Auflösung der Erzählung, wobei mit Labov<br />

(1980) eine Normalform hervorgehoben werden könnte: Abstrakt (Ankündigung<br />

und Legitimation), Orientierung (Schauplatz-Charakteristik), Komplikation<br />

(Ereignisdarstellung), Evaluation (Bewertung), Auflösung (Ergebnisdarstellung)<br />

und Koda (Auflösung der Erzählung).<br />

Als Ziele des narrativen Interviews nannte Wiedemann (1986): Rekonstruktion<br />

subjektiver Bedeutungsstrukturen und Handlungsregeln, Auffinden gemeinsamer<br />

Elemente und Deutungsmuster über viele Einzelfälle hinweg, Zugang zum<br />

Verständnis lebensgeschichtlicher Erfahrungsbildung und das Einnehmen der<br />

kommunikativen Zuhörerrolle. Der Interviewer gibt “Erzählimpulse” und stellt<br />

Verständnisfragen, um aus der Erzählung die wesentlichen Deutungsmuster zu<br />

erkennen. Welche typischen empirischen Anwendungen und welche psychologische<br />

Gültigkeit die Schlussfolgerungen aus solchen hervorgelockten Stegreiferzählungen<br />

haben können, wurde von Wiedemann jedoch kaum diskutiert.<br />

Eine Erzählanalyse im Kontext der psychodynamisch orientierten Psychotherapie<br />

wurde von Boothe (1994, Boothe et al., 1998) entwickelt. Die Metaphern<br />

wie “Szene” und “Inszenierung” der erzählten Welt dienten dazu, eine<br />

Konzeption der Alltagserzählung zu entwerfen. Die Erzählanalyse soll eine<br />

Rekonstruktion des dramaturgischen Prozesses, der Akteurschicksale, Beziehungsdefinitionen<br />

und Spielregeln entschlüsseln. “Die Art und Weise, wie<br />

Gegenstände der Erfahrung zu Gegenständen der Erzählung werden, steht im<br />

Mittelpunkt und damit auch die Frage, wie der Wahrheitsgehalt einer Erzählung<br />

zu beurteilen sei. Welt wird in der Erzählung, so unser Standpunkt, zum personalen<br />

Ereignis und zeigt den Sprecher in seiner psychischen Dynamik. Das<br />

hörende Gegenüber erkennt ihn in dieser Rolle an, unter der Bedingung – die<br />

zwischen beiden Partnern gewöhnlich als stillschweigende Voraussetzung gilt –,<br />

dass der Erzähler nicht lügt.”(Boothe et al., 1998, S. 18). Interessante Aspekte<br />

beim Erzählen und Zuhören sind hier die narrative Kompetenz des Erzählers und<br />

die Fähigkeit zum offenen Zuhören.<br />

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